Yeah, well, you know, that's just, like, your opinion, man.
The Dude
Filmcoopi
Von Sandro Danilo Spadini
Ein Gentleman frage eine Lady doch nicht nach ihrem Alter, meint Shelly (Pamela Anderson) im Prolog von Gia Coppolas Las-Vegas-Drama «The Last Showgirl» beim Vorsprechen zu dem vorerst gesichtslos bleibenden Regisseur
– nur um dann zunächst mit «36» und schliesslich mit «42» zu antworten. Die erste Zahl ist gelogen, das gibt sie schnell zu, aber die zweite halt auch, das sieht man dem in die Jahre
gekommenen Showgirl dann doch gar deutlich an. Und dieses vermaledeite Alter, es wird hier bis zum Schluss ein Thema bleiben – das Alter und die Vergangenheit und die Träume, die nicht
erfüllten und die längst vergessenen und die allmählich zu Ende geträumten. Allzu gross waren diese Träume nie, kaum vermessen und sicherlich nicht übermässig ambitioniert. Doch es waren ihre
Träume, Shellys Träume. Und deshalb wird sie gegenüber ihrer entfremdeten Tochter Hannah (Billie Loure) und den viel jüngeren Kolleginnen Mary-Anne (Brenda Song) und Jodie (Kiernan Shipka) denn
auch nicht müde, deren Wichtigkeit zu betonen und dass sie da oben auf der Bühne für sie tatsächlich in Erfüllung gegangen sind. Für Mary-Anne und Jodie freilich ist das einfach nur ein Job, «der
in amerikanischen Dollar bezahlt wird». Und für Hannah ist das, was Shelly macht, nur «eine dumme Nacktshow», «lahmer Trash» – und sowieso: «Was ist der Sinn dieser Show?» Nun, das kann
Shelly nur zu gut sagen, und sie tut es gern – wieder und wieder: Für sie evoziere «Le Razzle Dazzle», ihre nach 38 Jahren soeben in die letzte Runde geschickte Casinorevue, nichts weniger
als Paris, Glanz und Glamour, Erotik und Romantik – die gute alte Zeit, darf man wohl auch sagen. Eine Zeit, die in Las Vegas gerade unwiederbringlich zu Ende geht, die Shelly aber noch nicht
gehen lassen will. Und so klammert sie sich an ihre Träume, die immer härter mit Ansprüchen kollidieren, die sie nicht (mehr) erfüllen kann, die an einer neuen Realität zerschellen, aus der noch
der letzte Funken Romantik getilgt wurde. «Unsere Show ist legendär!», ruft sie wie zum Trotz aus. Und übrigens: Früher, damals in den Achtzigern, seien sie hier wie Filmstars behandelt worden.
Sie seien Botschafterinnen für Stil und Anmut gewesen. Sagts und seufzt und trauert diesen alten Zeiten still und mit versonnenem Blick noch ein bisschen weiter nach. Ja, dass sie das alles
vermisst, das macht sie mehr als einmal, mehr als zehnmal sogar klar. Aber sie tut es ohne Reue und Verbitterung. Nur eines kann sie nicht, will sie nicht akzeptieren: dass ihre Zeit im
Rampenlicht nun vorbei ist, dass der Traum ausgeträumt ist, dass sie «einfach verschwinden» soll. Denn sie mag, was sie tut. Sie liebt es.
Wuselige Energie, schlafwandlerische Nostalgie
Dieses Träumerische, dieses Schwelgerische, das in den Erzählungen stets durchschimmert und sich dann wie ein golden glitzernder Schleier über Shellys Gesicht legt, es ist auch in der
Inszenierung von Gia Coppola greifbar. Die Enkelin von Francis Ford und Nichte von Sofia legt mit «The Last Showgirl» ihren vierten Spielfilm vor, und es ihr mit grossem Abstand bester bislang
und recht eigentlich die erste Talentprobe der 38-Jährigen. Was ihn auszeichnet, ist eine wuselige Grundenergie mit einer tänzelnden, torkelnden Kamera, nicht unähnlich jener aus dem
Oscar-Siegerfilm «Anora», die das Wesen der hibbeligen Chaotin Shelly schön widerspiegelt. Die sich im nächsten Moment aber eben in eine gleichsam schlafwandlerische Nostalgie verkehrt, in die
Shelly und ihre beste Freundin, die abgetakelte Cocktailkellnerin Annette (grandios und kaum wiederzuerkennen: Jamie Lee Curtis), immer wieder gern, ja geradezu lustvoll eintauchen. Vom alten
Glanz von Las Vegas ist derweil nichts zu sehen; stattdessen sind da Baugruben und Baugerüste, Betonwüsten und Billigunterhaltung, alles völlig unsentimental und so unglamourös wie das Leben im
Prekariat, durch das sich die Protagonistinnen mal mit mehr, mal mit weniger Verzweiflung mühen. Alles sei so teuer geworden, stöhnt Shelly einmal, die glitzernde Schminke von der Show wie zum
höhnischen Kontrast noch im Gesicht, und es braucht nicht viel Fantasie und viele Worte, um sich auszumalen, wie schwer es für jemanden wie sie im heutigen Amerika geworden ist, über die Runden
zu kommen. Und dass sie und Annette keinerlei Altersvorsorge haben, das stand auch zu erwarten und macht dieses Festhalten, das Festklammern an der Vergangenheit nur noch verständlicher. Lange
Zeit nicht kapieren kann das Hannah, Shellys Tochter, die sich anschickt, Fotografie zu studieren und die sich sichtlich unwohl fühlt in der Gesellschaft ihrer unterschichtigen Mutter, die sich
ihretwegen wohl auch ein bisschen schämt und jeweils so schnell wie möglich wieder wegwill. Es sind das eigentlich Szenen zum Heulen, die Coppola maximal liebevoll und empathisch schildert. Doch
Shelly wirbelt auch das weg mit ihrem Herz aus Gold und dem störrischen Optimismus. Auch wenn wir ahnen, dass das nur gespielt ist – gut gespielt, sie ist schliesslich Profi – und dass es in
ihr drin ein wenig anders aussieht.
Tief empfundenes Verständnis
Dass wir das ahnen, ja wissen, das hat nicht so viel mit dem Drehbuch von Fernsehautorin Kate Gersten zu tun, das weder bei den Themen Alter und Geschlechterrollen noch bei den persönlichen
Dramen allzu tief schürft. Es ist das auch nicht so sehr das Verdienst Coppolas, die sich – es scheint in der Familie zu liegen – bisweilen in versonnen-elegischen, wiewohl sehr
stimmungsvollen Stilübungen verliebt und verliert. Dass das alles, das bei 85 Minuten Laufzeit nicht gar so viel ist, dass das vergleichsweise wenige also, was wir hier offeriert bekommen, derart
ans Herz rührt, dass es dermassen menschelt: Das liegt in erster Linie an den Darstellerinnen (und in Person des sich herrlich spröde und unbeholfen gebärdenden Kraftprotzes Dave Bautista auch an
einem Darsteller). Allem voran ist das natürlich Pamela Andersons Show; es ist dies fraglos die Rolle ihres Lebens, eine Rolle, für die sie, die einstige «Baywatch»-Nixe und belächelte Sex-Ikone,
wie damals Mickey Rourke in «The Wrestler» nachgerade geboren wurde und die nun ihre Wiedergeburt markiert. 57 Jahre ist Anderson mittlerweile (und ist im Übrigen auch Shelly), und tatsächlich
ist aus ihr noch eine Golden-Globe-nominierte Mimin geworden. Zwar mag ihrer Darbietung über weite Strecken eine gewisse Eintönigkeit anhaften – das indes macht sie wett mit einer ungeheuren
Lebendigkeit und Natürlichkeit, einem tief empfundenen Verständnis ihrer Figur und für ihre Figur, die stets ihr Bestes gibt, wohl wissend, dass das nicht immer viel ist und in ihrem Leben
oftmals auch nicht genug war. Aber einer so eindrücklich verkörperten Frau verzeiht man das gern.