Die fantastischen Reisen der Jennifer L.

Die Technik macht es möglich: Jennifer Lopez begibt sich in die Gedankenwelt eines Serienmörders und versucht dort, den Aufenthaltsort von dessen letztem Opfer ausfindig zu machen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Einklinken in eine fremde Welt – immer mehr Regisseure scheinen von diesem Gedanken gefesselt zu sein. In David Cronenburgs «eXistenZ» war alles noch ein Spiel. Die Wachowski-Brüder hingegen liessen Keanu Reeves in «Matrix» gleich die ganze Welt retten. Ganz so weit geht der Inder Tarsem Singh in seinem Regiedebüt «The Cell» nicht. Psychotherapeutin Catherine Deane (Jennifer Lopez) muss nur ein Leben retten, nämlich das des letzten Opfers eines inzwischen gefassten, sich aber im Koma befindenden Serienmörders.

Willkommen in der Fantasie

Tarsem Singh legt seine Karten gleich zu Beginn von «The Cell» auf den Tisch. Eine schöne Frau reitet in einem langen, schneeweissen Kleid durch eine unendlich scheinende Sanddüne. Dort trifft sie auf einen kleinen Jungen, mit welchem sie sich auf eigentümliche Weise unterhält. Am Ende dieses Dialogs verzieht sich das Gesicht des offenbar verärgerten Jungen zu einer grässlichen Fratze, doch die schöne Frau scheint darob im Gegensatz zum Zuschauer  nicht sonderlich verwirrt zu sein. Was wir noch nicht wissen: die schöne Frau ist eine Therapeutin, die sich mittels einer neuen Technologie in die Fantasie des kleine Jungen eingeklinkt hat. Derweil die Innenwelt des kleinen Jungen alles in allem noch recht friedlich war, entpuppt sich die des Serienkillers als grauenhaft, bizarr und pervers. Tarsem Singh lässt einen surrealistischen, zugleich verstörenden und faszinierenden Bilderopus über die Leinwand flimmern, der selbst hartgesottene Horror-Fans beeindrucken dürfte. Die teils harten Schnitte und der hektische Soundtrack vermögen die Albtraumhafte Stimmung zusätzlich anzuheizen. Die Verschnaufpausen, die einem zwischendurch gewährt werden, sind denn auch dringend notwendig. Doch selbst in den in der Wirklichkeit spielenden Szenen beweist Tarsem Singh  sein Gespür für eine stilsichere Inszenierung. Selten zuvor offenbarte ein Regisseur in seinem Debüt eine derart grosse Kreativität, die nicht zuletzt auch in der meisterhaften Wahl der Kostüme und der Schauplätze zutage tritt.

Vom Videoclip zum Film

Die Geschichte von «The Cell» lehnt sich an erfolgreiche Thriller wie «Das Schweigen der Lämmer» oder «Sieben» an. Die filmische Umsetzung andererseits erinnert eher an die Videoclips von Chris Cunningham (Madonna, Aphex Twin). Kein Wunder, denn Tarsem Singh entstammt eben dieser Szene, aus welcher Hollywood derzeit am liebsten seine Regiedebütanten rekrutiert. Die Vorurteile gegenüber dieser neuen Generation von Filmern sind nicht unbeträchtlich und bisweilen auch nicht ungerechtfertigt. Tarsem Singh aber beweist beeindruckend, dass er zu den talentierteren seiner Gilde zählt, auch wenn sein Erstlingswerk keinesfalls an die erwähnten Vorbilder herankommt. «The Cell» ist ein Film, auf den man sich einlassen muss. Tut man dies, steht einem wie Jennifer Lopez eine fantastische Reise bevor.