Sein und Schein in New York City

Frei nach dem Motto «Weniger ist mehr» schafft Regisseurin Mary Harron  das scheinbar  Unmögliche: eine kongeniale Adaption von Brett Easton Ellis‘ skandalumwitterten Roman «American Psycho».

 

von Sandro Danilo Spadini

«Ich habe alle Eigenschaften eines menschlichen Wesens, Fleisch, Blut, Haut, Haare, aber nicht eine einzige, klare, identifizierbare Empfindung, ausser Gier und Ekel.» Patrick Bateman ist oberflächlich gesehen ein arroganter, gut aussehender Wall-Street-Yuppie wie es ihn die Zeit des Reagenschen Hochkapitalismus zu Dutzenden hervorgebracht hat. Doch wie schon seine Selbsteinschätzung zu Beginn von Mary Harrons «American Psycho» zeigt, trügt der Schein. Patrick Bateman ist ein Monster. Patrick Bateman ist ein perverser und grausam mordender Psychopath. Patrick Bateman ist die Personifizierung der oberflächlichen, zügellos gierigen und in jeder Hinsicht kalten 80er-Jahre.

Schund oder Kunst?
 
In der vergangenen Dekade gab es wohl kein Buch, das für derart hitzige Diskussionen sorgte wie Brett Easton Ellis‘ 1991 erschienener Roman «American Psycho». Auf über 500 Seiten werden dort die unfassbaren Greueltaten des Patrick Bateman in solch besessener Detailgenauigkeit beschrieben, dass die Lektüre zu einer wahren Zumutung verkommt. Was in «American Psycho» an Perversionen und Monströsitäten geschildert wird, hätte wohl selbst einem Marquis de Sade die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Die Kritik war gespalten: für kranken Schund hielten es die einen, als intelligentes und wichtiges Zeitdokument feierten es die anderen. Als vor etwa vier Jahren Gerüchte um eine Verfilmung von «American Psycho» aufkamen, schüttelten aber alle einträchtig den Kopf. Wie sollte solch ein Stoff adäquat auf die Leinwand adaptiert werden? Regisseurin Mary Harron, die 1996 mit «I Shot Andy Warhol» ein eher durchwachsenes Spielfilm-Debüt feierte, zeigt wie es geht, indem sie den einzigen richtigen Weg beschreitet: sie deutet die Gewalt bloss an und überlässt deren visuelle Ausgestaltung der Vorstellungskraft des Zuschauers. Wieder einmal zeigt sich, dass weniger eben doch mehr ist, zumal eine wortgetreue Adaption niemals den Weg durch die Zensur gefunden hätte und eine  Gewaltdarstellung in abgeschwächter Form bei dem vom Tarantinoschen Kino geprägten Publikum kaum Wirkung hinterlassen hätte. Harron geht aber noch einen Schritt weiter, wenn sie in ihrer Version von «American Psycho» in erster Linie die in der Rezeption oft vernachlässigten satirischen Elemente des Romans hervorhebt. In faszinierend kühlen Bildern, welche in dem nicht minder kühlen Ton der Vorlage ihre kongeniale Entsprechung finden, und vor ausgezeichnet ausgewähltem Dekor verkommt ihr Patrick Bateman so zu einer zwar nach wie vor furchterregenden, jedoch auch äusserst bizarren und letztlich lächerlichen Witzfigur.

Grossartiges Ensemble

«American Psycho» ist jedoch nicht bloss eine Meisterleistung der Regie, sondern auch der Besetzung. Der Brite (!) Christian Bale verkörpert den Serienkiller Bateman mit einer Präzision und Überzeugungskraft, die schon fast beängstigend ist. Willem Dafoe, Jared Leto und Chloë Sevigny, um nur einige aus dem grandiosen Ensemble zu nennen, vervollständigen das Bild einer gleichsam perfekten Adaption, die durch das Ausschöpfen des satirischen Potenzials nicht zuletzt zeigt, dass Literaturverfilmungen auch noch einem ganz anderen Zweck dienen können: der intelligenten Ergänzung eines Romans. Nichtsdestotrotz dürfte der Film auf hartnäckige Widerstände einiger eingefleischten Fans des Buches stossen, doch die Wahrheit, wie die Kunst, liegt eben im Auge des Betrachters – eine Weisheit, die selten mehr Gültigkeit besass als im Falle von «American Psycho».