von Sandro Danilo Spadini
Nach seinem Debüt «Basquiat», in welchem er den Lebensweg des Pop-Art-Künstlers Jean Michel Basquiat nachzeichnete, wendet sich der umstrittene amerikanische Maler Julian Schnabel mit seinem
zweiten Werk abermals dem Genre des Biopics zu. In «Before Night Falls» erzählt er die tragische Geschichte des homosexuellen kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas, der nach
Castros Revolution Opfer qualvollen politischen Terrors wird, in dessen Verlauf er sich sowohl körperlich wie auch künstlerisch und geistig einer nicht enden wollenden Reihe barbarischster und
perfidester Demütigungen ausgesetzt sieht.
Grosse Kunst
Wahrhaftig glanzvoll war es, was Julian Schnabel 1996 mit «Basquiat» auf die Leinwand zauberte. Rund ein Dutzend absoluter Top-Darsteller von Gary Oldman über Dennis Hopper bis zu Hauptdarsteller
Jeffrey Wright trugen nicht unmassgeblich dazu bei, dass man «Basquiat» retrospektiv als eine der ganz grossen – und leider Gottes ebenso wenig beachteten – Perlen des amerikanischen Kinos der
Neunzigerjahre bezeichnen darf. Nichts, gar nichts spricht dagegen, dass «Before Night Falls» dereinst ebensolche Wertschätzung zuteil werden wird. Wie bereits «Basquiat» ist auch Schnabels
zweitem Werk deutlich anzumerken, dass hier ein Vertreter der bildenden Kunst die Fäden gezogen hat, was sich in selten in dieser Form gesehenen, ungeheuer kunstvollen Bildern von schier
unerträglicher Schönheit äussert – Bilder, die, eingefangen von einer bisweilen zu schweben scheinenden Kamera und untermalt von lakonischer Musik, dank ausgefeilter Farbkomposition und
Perspektivenwahl einen Eindruck davon vermitteln, zu welch grosser Kunst das Kino fähig ist.
Bardem als Trumpf
Es gehört wohl zu den grössten Ungerechtigkeiten der jüngeren Oscar-Geschichte, dass in diesem Frühjahr die begehrte Trophäe für den besten Hauptdarsteller nicht an Reinaldo-Arenas-Darsteller
Javier Bardem vergeben wurde. Lediglich mit einer Nominierung ist die grandiose Performance des aus diversen Pedro-Almodóvar-Filmen bekannten Spaniers fürwahr bloss unzureichend honoriert. Bardem
mit seiner zurückhaltenden, subtilen und jederzeit präzisen Präsenz ist exakt der Trumpf in Schnabels Ärmel, der «Before Night Falls» von einem beachtlichen zu einem überwältigenden Werk erhebt.
Bei den Nebenrollen verfuhr Schnabel dieses Mal in puncto Prominenz ein wenig sparsamer – lediglich Sean Penn, der zu Beginn des Films einen kurzen Auftritt hat, sowie Johnny Depp, welcher gerade
zwei verschiedene Rollen übernahm, stechen namenmässig aus dem Ensemble heraus. Über Julian Schnabels Bilder und Skulpturen mögen die Meinungen wohl zu Recht auseinandergehen. Sein bisheriges
Filmschaffen ist jedoch über jegliche Zweifel erhaben. Es ist schon beeindruckend, mit wie viel Taktgefühl und mit wie wenig übertriebenem Pathos Schnabel die tragische Biografie des
Schriftstellers, dessen traurig schöne Poesie er geschickt mit einzubinden weiss, filmisch umsetzt. Basierend auf Arenas‘ Memoiren schuf Julian Schnabel mit «Before Night Falls» einen Film von
atemberaubender Schönheit inmitten von unendlicher Traurigkeit. Reinaldo Arenas starb 1990 in New York an AIDS.