von Sandro Danilo Spadini
«Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.» Derweil diese berühmte These von Friedrich Dürrenmatt, aufgestellt in «21 Punkte zu den
Physikern», in seinem 1958 geschriebenen Drehbuch zu «Es geschah am hellichten Tag» noch nicht umgesetzt wurde, besitzt sie für die im Anschluss an den Film überarbeitete Romanfassung mit dem
Titel «Das Versprechen» sehr wohl Gültigkeit. Hollywoods Enfant terrible Sean Penn bringt nun Dürrenmatts Geschichte um einen besessenen Polizisten auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit
erneut auf die Leinwand und hält sich dabei – grosso modo – an die wesentlich anspruchsvollere und subtilere Romanfassung.
Verhängnisvoller Eid
Auf souveräne Weise verfrachtet Sean Penn in seiner dritten Regiearbeit die Geschehnisse vom Bündner Rheintal in die naturbelassene Gegend von Nevada. Aus Matthäi ist Jerry Black geworden,
anstelle von Heinz Rühmann ermittelt Jack Nicholson. «Bei meinem Seelenheil verspreche ich, Jennys Mörder zu finden.» Dieser Eid wird Jerry Black von der Mutter eines grausam ermordeten
achtjährigen Mädchens abgenötigt, und dieser Eid lässt ihn immer tiefer in einen Strudel von Wahn und Besessenheit, von fragwürdigen Methoden und moralischen Konflikten versinken. Dass es für ihn
aus diesem Strudel kein Entrinnen gibt, dass seine Seele verloren ist und er zum Schluss endgültig dem Wahnsinn anheim gefallen sein wird, nimmt Penn schon beim furiosen Beginn des Films vorweg,
wenn ein völlig desorientierter Jack Nicholson murmelnd über die Leinwand geistert.
Gelungene Adaption
Jerry Black ist ein typischer Held dürrenmattscher Prägung. Wie Bärlach in «Der Richter und Sein Henker» und in «Der Verdacht», wie Spät in «Justiz», wie die pensionierten Vertreter des Gesetzes
in «Die Panne» ist Black ein Besessener, dessen Suche nach Wahrheit bisweilen seltsame Züge annimmt. Das Streben nach Gerechtigkeit, die Diskrepanz zwischen derselbigen und der Justiz, der Zufall
und mitunter auch das Groteske – die zentralen Themen des dürrenmattschen Werks finden sich auch in Penns trotz heller, erdiger Farben düsteren und aussergewöhnlich atmosphärischen Adaption, die
langsam, fast unmerklich vom Thriller zur Charakterstudie übergeht. Penn gestattet sich zwar gewisse, wie man etwas despektierlich einwenden könnte: typisch amerikanische Ausschmückungen – wie
etwa bei der Szene mit dem titelgebenden Versprechen oder mit der Einführung der im Roman nicht existenten Liebesbeziehung -, nichtsdestotrotz darf «The Pledge» als ambitioniertes, anspruchsvolles und
kunstvolles Werk betrachtet werden. Auserlesene Schauplätze, ein präzises Gefühl für Farben und Tempo und eine bis in die letzte Nebenrolle atemberaubende Besetzung (u.a. Benicio Del Toro,
Vanessa Redgrave, Mickey Rourke) beweisen das überragende Talent des Regisseurs Penn und wecken den Wunsch, der durchweg auch vor der Kamera glanzvoll agierende Querdenker möge fürderhin etwas
öfter auf dem Regiestuhl Platz nehmen. Mit «Requiem auf den Kriminalroman» ist Dürrenmatts Roman untertitelt – Penn hat es geschafft, dies für den Kriminalfilm umzusetzen.