von Sandro Danilo Spadini
In seinem legendären Gespräch mit François Truffaut liess sich der grosse Alfred Hitchcock über seinen Film «Stage Fright» (1950) wie folgt vernehmen: «Wissen Sie, ich habe mir bei dieser
Geschichte etwas erlaubt, was ich nie hätte machen dürfen: eine Rückblende, die eine Lüge war.» Regisseur Stephen Hopkins hätte sich diese Worte des «Master of Suspense» besser zu Herzen
genommen, operiert er doch in seinem neuen Film «Under Suspicion» mit exakt dieser Art von unwahren Rückblenden als einem der zentralen Stilelemente. Was sich aber schon bei Hitchcock
nicht ausgezahlt hat, funktioniert nun auch bei Hopkins nicht, zumal es nicht bloss bei diesem einen formalen Fehler bleibt.
Unter Verdacht
Beruhend auf Claude Millers Klassiker «Garde à vue» («Das Verhör», 1981), erzählt «Under Suspicion» die Geschichte des renommierten Anwalts Henry Hearst (Gene Hackman), der zunächst als Zeuge zum
Verhör über die Ermordung zweier junger Mädchen vorgeladen wird. In seiner Aussage finden sich jedoch so viele Ungereimtheiten, dass Polizeicaptain Benezet (Morgan Freeman) ihn schliesslich unter
Mordverdacht stellt. Was folgt ist ein packendes Psychoduell, in dessen Verlauf die coole Fassade Hearsts mehr und mehr zu bröckeln beginnt. In seiner Grundkonstellation erinnert der in Puerto
Rico spielende Film, der sich nicht strikt an Millers Vorlage hält, an neuere Filme wie «Liar» von Jonas und Josh Pate (1997) oder – eher vage – «The Usual Suspects» (Bryan Singer, 1995) und
weist zudem Ähnlichkeiten auf mit Elementen aus Javier Marias‘ Kurzgeschichte «Während die Frauen schlafen» aus dem Jahre 1990. In Morgan Freeman, der in gewohnt stoischer Ruhe agiert, und dem
temperamentvollen Gene Hackman hat «Under Suspicion» zwei wahre Meister ihres Fachs zur Verfügung, welche ihre vielschichtigen Figuren glaubhaft verkörpern. Traumfrau Monica Bellucci («Malena»)
sorgt darüber hinaus für optische Reize. Das Drehbuch verspricht prickelnde Spannung und wartet am Ende mit einer verblüffenden Wende auf. «Under Suspicion» hat eigentlich fast alles, was einen
guten Film ausmacht – leider jedoch nur fast. Als grosse Schwachstelle des beinahe kammerspielartigen Thrillers erweist sich nämlich Regisseur Stephen Hopkins, dem es an jeglichem Feingefühl in
puncto Inszenierung fehlt.
Unangemessene Stilmittel
Subtilität war noch nie die Stärke von Hopkins, der das Kinopublikum schon mit solch grauenhaften Filmen wie «The Ghost and the Darkness» (1996) gequält hat. Geradezu krampfhaft ist der eindeutig
übermotivierte Hopkins bemüht, seinem in unsäglicher Hochglanzoptik gedrehten Film Originalität zu verleihen und greift dabei bisweilen zu gänzlich inadäquaten Stilmitteln. Laute Musik, grelle
Farben und eine nervöse, geschmäcklerisch modische Schnitttechnik sind dort zu finden, wo es eigentlich darum ginge, eine beklemmende Stimmung zu erzeugen. Dass dann Hopkins bei den zahlreichen
Rückblenden auch noch ein ums andere Mal lügt, macht «Under Suspicion» endgültig den Garaus. Alfred Hitchcock kann ein Liedchen davon singen.