von Sandro Danilo Spadini
Rückblende, New York 1991: Nach einem geglückten Raubüberfall wird der skrupellose Gangster Koster (Sean Bean) von einem Kollegen um die Beute, einen zehn Millionen Dollar teuren Diamanten,
geprellt und anschliessend verhaftet. Abblende. Zehn Jahre später: Psychiater Nathan Conrad (Michael Douglas) ist mit seiner Familie mitten in den Vorbereitung zu Thanksgiving, als er zu der
offenbar schwer gestörten 18-jährigen Elisabeth (Brittany Murphy) gerufen wird.
Psychologisch flach
Elisabeth wird für Conrad zum Verhängnis werden, denn sie ist die einzige Person, die weiss, wo sich besagter Diamant befindet. Koster und seine Kumpanen, gerade wieder auf freiem Fuss, entführen
Conrads Tochter Jessie. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Der Deal: Jessies Leben im Austausch gegen eine sechsstellige Nummer, die Conrad aus seiner Patientin herausbringen soll.
Nebenbedingung: Spricht Conrad mit irgendjemandem über die Entführung, ist Jessie tot. Sag‘ kein Wort! So viel zur nicht uninteressanten, Spannung versprechenden Grundkonstellation von Gary
Fleders neuem Thriller «Don’t Say a Word».
Spannung wird in den fast zwei Stunden denn auch – in überschaubaren Massen – geboten, stilisierte, teils recht gelungene Bilder dazu; doch das psychologische Potenzial, welches in dieser
Geschichte steckt, wird wie schon bei Fleders bislang kommerziell grösstem Hit «Kiss the Girls» nur unzulänglich ausgeschöpft. Fleder feierte 1995 mit dem Mafia-Thriller «Things to Do in Denver
when You’re Dead» ein überzeugendes Debüt, welches erkennen liess, dass hier ein handwerklich versierter Regisseur heranwächst. Zwei Jahre später folgte der Serienkiller-Thriller «Kiss the
Girls». Im Kielwasser von David Finchers «Seven» segelnd, konnte Fleder zwar einen ganz ansehnlichen Boxoffice-Hit verbuchen, doch zeigte sich, dass er künstlerisch dem in den Neunzigerjahren für
das Thriller-Genre Massstäbe setzenden Fincher nicht das Wasser reichen konnte. Wohl war die Inszenierung von «Kiss the Girls» auch betont düster gehalten, doch wirkte alles ein wenig zu gewollt,
weniger subtil und weit entfernt von Finchers Leichtigkeit und Virtuosität: Bei Fleder ist der Regen halt immer etwas zu heftig und der Nebel stets etwas zu dicht. Darüber hinaus arbeitet er mit
Drehbüchern, die bloss oberflächliche Spannung bieten, psychologisch flach bleiben und in der Auflösung überaus konventionell gehalten sind.
Grundsolide Thrillerkost
Fleder mag kein Genie wie Fincher sein, doch ein Stümper ist er beileibe nicht. Nach seinem gefloppten Science-Fiction-Thriller «Imposter» beweist er mit «Don’t Say a Word», dass er es sehr wohl
versteht, gekonnt auf der Klaviatur des modernen Hollywood-Kinos zu spielen. Mit Michael Douglas – einmal mehr in der Rolle eines in Bedrängnis geratenen Jedermanns – verfügt er über einen
Superstar, der eigentlich immer seine Leistung bringt, und mit der jungen Brittany Murphy hält er gar noch eine echte Überraschung bereit – die einzige des Films freilich. Alles in allem ist
Fleder mit «Don’t Say a Word» erneut ein grundsolider Thriller geglückt, den zu sehen sich durchaus lohnt, den zu verpassen jedoch auch nicht übermässig schmerzt.