von Sandro Danilo Spadini
Nach dem Grosserfolg der TV-Serie «Akte X» Mitte der Neunzigerjahre feiern Filme aus dem Mystery-Genre mittlerweile auch auf der Kinoleinwand ein spektakuläres Revival. Hits wie «The Green Mile»
oder jüngst «The Others» zeugen von diesem Trend. Mit M. Night Shyamalan hat sich gar ein Regisseur etabliert, der sich offenbar ausschliesslich dem Übersinnlichen verpflichtet fühlt. Ob «The
Sixth Sense», «Unbreakable» oder der voraussichtlich Ende Jahr in die Kinos kommende «Signs» – stets haben bei Shyamalan höhere Mächte ihre Hände mit im Spiel.
Mensch im Mittelpunkt
Von Paranormalem erzählt auch Scott Hicks‘ neuester Film «Hearts in Atlantis», der wie «The Green Mile» auf einem Roman von Mystery-Spezialist Stephen King beruht. Der Australier Hicks hat mit
seinem Oscar-prämierten Hit «Shine» und dessen leider zu wenig beachtetem Nachfolger «Snow Falling on Cedars» gezeigt, dass er ein Regisseur ist, der die leisen Töne schätzt, ein Regisseur, der,
ein äusserst ruhiges Erzähltempo anschlagend, der Geschichte und vor allem den Figuren viel Zeit lässt, sich zu entwickeln. Denn in Hicks‘ Schaffen steht eindeutig der Mensch im Mittelpunkt.
Darüber hinaus hat er spätestens mit «Snow Falling on Cedars» bewiesen, dass er über ein überaus feines Gespür für edle Optik verfügt, gehörten doch die Naturaufnahmen dieses Gerichtsdramas zum
Besten, was das amerikanische Kino diesbezüglich in den letzten Jahren hervorgebracht hat.
Kindheit und Freundschaft
Eingedenk der Vorlieben des Regisseurs, verwundert es kaum, dass «Hearts in Atlantis» den übersinnlichen Fähigkeiten des geheimnisvollen Ted Brautigan (Anthony Hopkins) nur vergleichsweise wenig
Beachtung schenkt. Vielmehr interessiert sich Hicks für die Beziehung zwischen Ted und dem 11-jährigen Bobby (Anton Yelchin) – einem von seiner selbstsüchtigen Mutter (Hope Davis)
vernachlässigten Jungen, der – wie meistens in amerikanischen Filmen – zuweilen etwas gar altklug daherkommt. «Hearts in Atlantis» ist in erster Linie ein Film über diese aussergewöhnliche
Freundschaft und über die letzten unbeschwerten Tage der Kindheit irgendwo in den USA Ende der «unschuldigen» Fünfzigerjahre. Das kriminalistische Element (die Ted verfolgenden «Bogeymen») und
die mystische Komponente (Teds hellseherische Fähigkeiten) dienen bloss als Mittel zum Zweck, sind zwar nicht überflüssig, letztlich aber austauschbar. All dies erinnert stark an Rob Reiners
gelungene King-Adaption «Stand by Me» aus dem Jahre 1986. Ähnlich stimmungsvoll hat denn auch Hicks «Hearts in Atlantis» inszeniert. Bilder und Musik sind präzise abgestimmt und ergeben ein
atmosphärisch dichtes Gewebe; die talentierten Jungdarsteller machen ebenfalls Freude. Als entscheidender Trumpf erweist sich aber der Umstand, dass Hicks einen der besten Schauspieler unserer
Zeit in seinen Reihen weiss: Sir Anthony Hopkins. Dies ist ganz klar sein Film. Ohne die einmal mehr sagenhafte Präsenz des Briten wäre «Hearts in Atlantis» im Endeffekt vielleicht doch etwas
belanglos, so aber ist er zu einem Fest hoher Schauspielkunst geworden.