von Sandro Danilo Spadini
Shakespeare und das Kino ist eine Beziehung mit langer Tradition. Die ersten Shakespeare-Verfilmungen gehen auf eine Zeit zurück, als die laufenden Bilder noch in den Kinderschuhen steckten. Auch
heute erfreuen sich die klassischen Stoffe des Jahrhundertgenies grösster Popularität unter den Filmschaffenden. Ab Ende der 80er-Jahre sorgten die aufwendig produzierten, hochkarätig besetzten
Adaptionen von bzw. mit Kenneth Branagh für grosses Aufsehen; seit Mitte der 90er-Jahre indes lässt sich darüber hinaus ein neues Phänomen ausmachen: die Verlagerung der klassischen
Shakespeare-Stoffe in die Gegenwart. Bahnbrechend für diese Art der Neuinterpretation war zweifelsohne Baz Luhrmanns «William Shakespeare’s Romeo & Juliet» (1996). Es folgten Gil Jungers «Ten
Things I Hate about You» (1998, basierend auf «The Taming of the Shrew») und Michael Almereydas «Hamlet» (2000), der sich – wenn auch in gekürzter Form – wie «Romeo & Juliet» an den
klassischen Text hielt. Der Schauspieler Tim Blake Nelson («Oh Brother where Art Thou») hat nun «Othello» einen äusserst zeitgemässen Anstrich verpasst, indem er das Geschehen an eine
amerikanische High Shool verlagerte, Kriegswirren durch Basketball ersetzte und seiner temporeichen Inszenierung stampfende Hip-Hop-Beats unterlegte. Seinen Film hat er schlicht «O» getauft, Othello ist Odin (Mekhi Phifer), Desmeralda
ist Desi (die hinreissende Julia Stiles, die bereits in «Ten Things I Hate about You» und «Hamlet» mit von der Partie war), und Jago ist Hugo (ein – anders als in «Pearl Harbor» – sehr
überzeugender Josh Hartnett).
Verrat und Eifersucht
Odin ist der Star des High-School-Basketballteams, ferner liiert mit der schönen Desi. Hugo, der Sohn des Coachs, ist auf dem Spielfeld Odins unauffälliger, aber emsiger Adjutant, abseits des
Platzes einer seiner besten Freunde. Getrieben von Neid und zutiefst verletzt vom Liebesentzug des Vaters zu Odins Gunsten, spinnt Hugo eine heimtückische Intrige, deren Ziel es ist, Odin, durch
Hugos Einflüsterungen in rasende Eifersucht versetzt, von Desi zu entfremden und jene dem linkischen Roger («Rodrigo») in die Arme zu treiben. Zunächst läuft alles nach Plan, doch zunehmend
geraten die Dinge ausser Kontrolle und münden unausweichlich in eine «Nacht des Blutwahns».
Alte und ewige Themen
Es ist schon eine kleine Überraschung, wie wenige dramaturgische Kniffe Nelson benötigt, um die Handlung glaubwürdig zu halten, und wie geschickt er dabei verfährt. So überzeugt denn auch die neu
hinzugefügte Vater-Sohn-Problematik, die Hugo nicht bloss etwas mehr Profil verleiht, sondern zudem sein Handeln einleuchtender macht. Wegen seines blutigen Endes löste «O» in den USA hitzige
Diskussionen aus, das Magazin «Esquire» bezeichnete ihn gar als den «kontroversesten Film des Jahres». Viel Lärm um Nichts. Schliesslich wollte Tim Blake Nelson bloss beweisen, dass ein Stoff wie
«Othello» mit so alten und ewigen Themen wie Verrat und Eifersucht auch heute noch funktioniert – und das ist ihm ganz ausgezeichnet gelungen.