von Sandro Danilo Spadini
Den ganz grossen Knüller konnte Woody Allen schon seit geraumer Zeit nicht mehr verbuchen. Solide, knapp überdurchschnittliche Qualitätsware hat der ewige Stadtneurotiker mit seinen letzten
Werken abgeliefert, mehr nicht. 68 Jahre alt wird Allen am 1. Dezember, und es verhärtet sich angesichts der doch eher zahmen jüngeren Arbeiten allmählich der Verdacht, dass die Jahre auch an
seinen für den charakteristischen satirischen Biss zuständigen Organen nicht spurlos vorbeigezogen sind. Wenig war zuletzt zu spüren von den angriffslustigen Beisserchen des draufgängerischen
Tigers Woody, die so langsam zum künstlichen Gebiss eines phlegmatischen Schmusekaters zu mutieren scheinen. Nun also der nächste alljährliche Auftritt mit «Anything Else». «What’s up, Tiger
Woody?» Das Übliche. «What’s New, Pussycat?» Nicht viel.
Neurotiker trifft Neurotikerin
Allens jüngster, wie immer mal angenehm, mal weniger angenehm geschwätziger Erguss erzählt von den Liebesleiden eines sich mit humorvollen Stoffen befassenden und ausnahmsweise nicht von Woody
Allen persönlich gespielten jungen Schreiberlings namens Jerry (Jason Biggs), der mit seinen zahlreichen Neurosen nirgends besser hinpasst als in das von ihm geliebte Manhattan (hat jemand Alter
Ego gesagt?). Jerry hat trotz seiner Jugend in Sachen Frauen schon einiges (z. B. eine Scheidung) hinter sich und strebt nach neuen Ufern. Seine neuste Eroberung ist eine glamouröse, aber nicht
minder neurotische, von Bindungsängsten beherrschte Femme fatale (Christina Ricci), deren kindlich-störrischer Charme ihn auch noch über die himmelschreiendsten Ungeheuerlichkeiten hinwegsehen
und auch das schon bald zum Stillstand gekommene Sexleben erdulden lässt. Wie es sich für einen echten New Yorker gehört, sucht Jerry Rat bei einem Psychiater, dessen beruflicher Ehrgeiz sich
allerdings in gar engen Grenzen hält. Ein wenig, aber nur ein wenig aufschlussreicher sind da die wundersamen Lebensweisheiten seines erfolglosen und – o ja, aber sich doch – hochgradig
neurotischen und paranoiden Mentors (jetzt aber Woody Allen), mit dem er sich täglich zu beruflichen und vor allem privaten Beratungen trifft.
Talentierte Jugend
Es dauert eine Weile, bis «Anything Else» in Schwung kommt. Zunächst wird einmal ein bisschen geplaudert, gelabert und gekalauert – alles auf unterem Allen-Niveau freilich. Mit der Zeit jedoch
stellen sich immer öfter Momente ein, die an Woodys Glanzzeiten erinnern und sowohl zum Schmunzeln (und bisweilen zum Lachen) als auch zum Sinnieren über die Liebe anregen. Erstaunlich souverän
schlägt sich in dieser alle gängigen allenschen Klischees und Themen meist auf hinlänglich bekannte, nicht immer unterhaltsam-originelle Weise ausschöpfenden Neurotikerparade der junge Jason
Biggs, der bislang eher im grobschlächtigeren Humorbereich («American Pie») gewütet hat. Der den Film tragende Star ist aber zweifelsfrei Christina Ricci, deren Entwicklung vom Teenager mit
publicitywirksam ausgeschlachtetem Hang zum Morbiden zur erwachsen gewordenen, wenngleich immer noch sich wenigstens dem Skurrilen verpflichtet fühlenden Nachwuchshoffnung von nicht gerade
wenigen Reinfällen begleitet war. Wie schon jüngst im Flop «Miranda» beeindruckt Ricci als laszives Liebesluder auch in «Anything Else» mit einer raumerfüllenden erotischen Präsenz, welche die
Männer gleich reihenweise um den Verstand zu bringen vermag. Dass sich Allen den Liebesproblemen von Twentysomethings annimmt und zum Schluss zur Abwechslung nicht das (viel zu junge) Mädchen
kriegt, sind dann aber auch die einzigen Überraschungen seines sich knapp über dem Niveau letzten nicht ganz so aufregenden Produktionen bewegenden neuen Werks. Dass er sich dieses Mal etwa mehr
als zuletzt um die Optik bemüht, das Ganze in überaus warme, herbstliche Farben taucht und so seiner Heimatstadt, welcher er am Ende seines vorangegangenen Films «Hollywood Ending» noch den
Rücken gekehrt hat, seine x-te Liebeserklärung macht, ist hingegen kaum mehr der Erwähnung wert – obwohl zumindest diese Liebeserklärung in «Anything Else» besonders bezaubernd ausgefallen ist.