von Sandro Danilo Spadini
Lange hat es gedauert, bis Steven Soderberghs zweitneuster Film «Full Frontal» auch den Weg in die hiesigen Kinos gefunden hat. Auf den ersten Blick erscheint die zögerliche Haltung der Verleiher
angesichts der jüngsten Erfolge des Regisseurs und der Starbesetzung (u.a. Julia Roberts, David Duchovny,
Catherine Keener und ein Cameo von Brad Pitt) reichlich unverständlich, ein paar Blicke
später jedoch, nach genau 100 Minuten Film, nur noch folgerichtig, zumal es Soderbergh für einmal nicht verstanden hat, seine Experimentierfreudigkeit in auch für Aussenstehende verständliche und
angenehme Bahnen zu lenken.
10 Regeln, 2 Millionen Dollar
Mit von Publikum und Kritik gleichermassen hoch geschätzten Filmen wie «Out of Sight», «Traffic» oder «Ocean’s Eleven» hat sich Soderbergh mittlerweile einen Ruf erarbeitet, der ihm beinahe
Narrenfreiheit gewährt. In «Full Frontal» nutzt er diese erstmals konsequent aus. Nach seinem bisher kommerziellsten Film «Ocean’s Eleven» wollte der Hornbrillenträger gleichsam als Ausgleich
wieder auf künstlerisch anspruchsvolleren Wegen wandeln, einen Film machen, bei dem er keine Rücksicht auf Einspielergebnisse und Publikumserwartungen nehmen musste. Mehr aus Jux beschränkte sich
Soderbergh auf ein Budget von bloss 2 Millionen Dollar und legte ähnlich den dänischen Dogma-Filmern 10 Regeln fest, die es strikte einzuhalten galt. Die Stars etwa, die naturgemäss fast umsonst
spielten, waren für Make-up, Garderobe, aber bis zu einem gewissen Grad auch für die Ausgestaltung ihrer Charaktere selbst verantwortlich.
Beabsichtigter Amateur-Look
Von viel weitreichenderer Konsequenz als die damit einhergehenden Improvisationen sind jedoch die technischen Beschränkungen, die sich Soderbergh auferlegt hat. So ist mit Ausnahme eines «Films
im Film» das komplette Material auf Digitalvideo gedreht worden. Dass diese Bilder so wirken, als ob sie aus einem wenig gelungenen Studentenfilm stammen, entspricht durchaus Soderberghs Absicht,
der wie meistens unter Pseudonym auch die Kameraarbeit übernahm und dem Film einen «Amateur-Look» verpassen wollte. «Full Frontal» folgt in relativ chaotischer und ziemlich gehetzter Abfolge
sechs Menschen und ihren amourösen Beziehungen über eine Zeitspanne von 24 Stunden. Zunächst wurde das Projekt als Sequel zu Soderberghs Erstling «Sex, Lies and Videotape» angekündigt, mit
welchem es aber ausser thematischen Parallelen nur wenig gemein hat. Soderbergh selbst bezeichnet «Full Frontal» als zeitgemässe Version seines preisgekrönten Regiedebüt, welches, würde er es
heute drehen, genauso aussähe.
Wenig überzeugende Fingerübung
Zum Glück hat Soderbergh «Sex, Lies and Videotape» bereits vor 14 Jahren gedreht. Es ist zwar durchaus löblich und mitunter sogar spannend, wenn ein etablierter Regisseur einmal etwas anderes
ausprobieren will. Doch wie schon etwa Mike Figgis mit «Time Code» legt auch Soderbergh mit seiner gut gemeinten, letztlich aber arg selbstverliebten und manierierten Fingerübung eine
Bauchlandung hin. Das liegt weniger an der durchaus reizvollen Figurenzeichnung, der Patchwork-Struktur oder gar an den cleveren Dialogen, sondern schlicht an der Optik. Die qualitativ miesen,
meist extrem schlecht ausgeleuchteten Bilder vermögen der Geschichte nicht einmal den intendierten realistischen Touch zu verleihen. Die aus dem Nebeneinander der auf herkömmlichen 35mm gefilmten
Szenen und dem Videomaterial resultierende Inkohärenz animiert vielleicht Filmstudenten zu einer philosophischen Diskussion, überzeugt aber ebenso wenig. «Sie werden Spass haben, ob Sie wollen
oder nicht», lautete übrigens die zehnte Regel, die sich freilich weniger auf das Publikum als vielmehr auf die in das Projekt involvierten Leute bezieht. Denn insgesamt ist «Full Frontal» eine
bedauerliche Verschwendung von Talent, insbesondere auch der grösstenteils exzellenten Darsteller. Regie-Gott Soderbergh unterstreicht hingegen einmal mehr seinen Hang zum Exzentrischen und wird
seinem Ruf in gewisser Weise erneut gerecht: Seine Wege sind bisweilen halt unergründlich.