von Sandro Danilo Spadini
Wunderkind oder Wahnsinniger? Überragend oder überschätzt? Naturtalent oder Nachahmer? Was ist dieser Quentin Tarantino eigentlich? Tatsache ist, dass der 40-Jährige mit einem recht
überschaubaren Oeuvre eine Popularität erreicht hat, die bei Leuten hinter der Kamera höchst selten ist. Gerade mal drei Regiearbeiten, ein kurzer Beitrag zum Episodenfilm «Four Rooms» sowie die
Drehbücher zu Tony Scotts «True Romance» und Robert Rodriguez’ «From Dusk till Dawn» standen bislang in seiner Vita zu Buche. Der grosse Revolutionär des Kinos, als der er mitunter hingestellt
wird, ist er eingedenk von Filmen wie David Lynchs «Wild at Heart», der die mit ihm assoziierte Entwicklung bereits Anfang der 90er vorweggenommen hat, sicherlich auch nicht. Viele seiner Ideen –
etwa im Erstling «Reservoir Dogs», den man im Grunde fast schon als Remake des japanischen Streifens «City of Fire» bezeichnen könnte, aber auch in seinem Kulthit «Pulp Fiction» – hat der
ehemalige Videothekar überdies schlicht von anderen, vorzugsweise asiatischen Filmen übernommen. Schamlos könnte man das nennen. Oder aber kühn. Womöglich sogar originell. Unbestritten ist
nämlich auch, dass Tarantino es immer wieder geschafft hat, aus vielen fremden Federn ein eigenes Kleid zu kreieren.
Racheepos in zwei Teilen
Über sechs Jahre nach dem «Pulp Fiction»-Nachfolger «Jackie Brown» kommt nun also des Meisters neuster Streich in die Kinos. Vom Racheepos «Kill Bill» ist aber einstweilen bloss die erste Hälfte
zu sehen, zumal auf Drängen des mächtigen Studiobosses Harvey Weinstein, der um künstlerische Einbussen fürchtete, wohl aber auch den einen oder anderen Extra-Dollar witterte, kurzfristig
entschieden wurde, die rund 200-minütige erste Fassung nicht zu kürzen, sondern einfach in zwei Teilen herauszubringen. Tarantino war es jedenfalls recht, und auch das Publikum dürfte nach rund
anderthalb Stunden dieses atemberaubend wahnwitzigen Genremix für die Verschnaufpause bis Februar, wenn Teil zwei erscheint, dankbar sein.
Genie und Wahnsinn
Blutgetränkt ist der Weg, den Quentin Tarantino in seinen Filmen beschritten hat. In dieser Beziehung ist man sich vom wahnsinnigen Wunderkind schon einiges gewohnt. Was er nun aber in «Kill Bill Vol. 1» veranstaltet, ist eine ausser Rand und
Band geratene, völlig durchgedrehte Orgie der Gewalt, die jedoch wie das Gemetzel eines Slasher-Films durch den repetitiven Charakter des Gezeigten bald ihren Schrecken einbüsst und sich immer
mehr im Grotesken verliert. Im Zentrum des Geschehens steht eine ehemalige Killerin (Uma Thurman), die nach vier Jahren aus dem Koma erwacht und nach Rache dürstet an jenen, die sie dorthin
befördert haben. Ziel der Vergeltung sind ihr ehemaliger Liebhaber und Boss Bill («Kung Fu»-Star David Carradine, Tarantinos obligater «has-been») sowie die vier Mitglieder von dessen
Killereinheit. Die Geschichte von «Kill Bill» rechtfertigt die Überlänge des Films gewiss nicht, doch so schlicht die Handlung, so komplex ist die Optik. Jede Einstellung dieses brodelnden
Bilderrausches ist perfekt durchgestylt, jedes Detail wirkt einstudiert. Die nicht chronologische Erzählstruktur und diverse formale Extravaganzen folgen Tarantinos bisherigen Werken, die
Choreografie der ausufernden Kampfszenen bisweilen Ang Lees «Crouching Tiger, Hidden Dragon», der Grossteil der Zutaten stammt aber aus den Lieblingsgenres des Regisseurs, aus Spaghetti-Western,
Martial-Arts-, Kung-Fu-, Samurai- und Anime-Filmen. Kongenial untermalt wird diese gleichsam bizarre, nur scheinbar konfuse Mischung von RZAs brillanten Soundtrack, der sich jeweils geschmeidig
den unzähligen popkulturellen Verweisen und den jeweiligen Schauplätzen anzupassen versteht und gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zum letztlich doch ungemein stimmigen Ganzen beiträgt. Zu
einem typischen Tarantino wird diese bombastische Hommage an das asiatische, europäische, ja an das Kino schlechthin schliesslich durch den lakonischen Grundton, die kernigen Dialoge, den
pechschwarzen Humor. «Kill Bill Vol. 1» ist wild, fiebrig, durchgedreht – eindeutig das Werk eines Verrückten. Und er ist atemberaubend, kunstvoll, meisterhaft – eindeutig das Werk eines Genies.