Schau mir in den Kochtopf, Kleiner

Ein Stück Italien inmitten der USA: Die No-Budget-Produktion «Ragu» ist eine kleine, erfrischende und leicht bekömmliche Komödie aus der Küche von «Indien»-Regisseur Paul Harather.

 

von Sandro Danilo Spadini

Schuhverkäufer Paulie (Paolo Romanacci) ist faul, geizig, ungebildet und ein übler Chauvinist. Mit seinen mittlerweile 33 Jahren lebt der Sohn italienischer Immigranten noch immer zufrieden bei seinen Eltern. Warum auch ausziehen, wo ihm doch seine herzensgute Mama jeden Tag das Bett macht und ihn regelmässig mit feinster italienischer Küche verköstigt? Solange er keine Frau findet, die es mit Mama aufnehmen kann, bleibt Paulie lieber Single. Selbst als er die sympathische Victoria (Josie DiVincenzo) kennen lernt, ist er nicht bereit, auch nur einen Millimeter von seinem Lebensentwurf abzurücken. Dies ist zunächst auch gar nicht nötig, zumal sich Victoria kein bisschen an seinem unbedarften Machogehabe stört und Paulie richtig vernarrt ist in seine kleine Principessa. Doch dann ereignet sich ein grausamer Zwischenfall, der ihn bis ins Mark erschüttert und das Feuer seiner Liebe jäh erlöschen lässt: Victoria will ihm anlässlich ihres ersten gemeinsamen Abendessens bei ihr zu Hause doch tatsächlich eine billige Fertigsosse servieren! Folgerichtig kommt es zum Eklat. «Ich bereue bloss, dich je meiner Mutter vorgestellt zu haben», schnaubt Paulie noch und stürmt zur Türe hinaus. Es folgen Tage des Zweifelns, in welchen ihn seine Freunde zwar von der Richtigkeit seines Handelns überzeugen, Victoria ihm aber dennoch nicht aus dem Kopf gehen will.

Dokumentarischer Stil

«Ragu» beruht auf einem Theaterstück von Hauptdarsteller Paolo Romanacci, welches vor ca. sechs Jahren das Interesse des österreichischen Regisseurs Paul Harather weckte. Bereits 1993 hatte Harather äusserst erfolgreich mit der aus der Feder der österreichischen Starkabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfer stammenden Tragikomödie «Indien» eine Geschichte von der Bühne auf die Leinwand transferiert. Mit «Ragu» schwebte ihm nun Ähnliches vor. Ein Studio, das die Groteske finanzieren wollte, fand sich jedoch nicht. Zwar galt das von Harather mit Romanacci verfasste Drehbuch als durchaus viel versprechend, die Verfilmung scheiterte allerdings regelmässig an der Besetzung der Hauptrolle, welche nach Harathers Ansicht nur der gänzlich unbekannte Romanacci selbst übernehmen konnte. Mehr aus der Not geboren ist denn auch der an die dänischen Dogma-Filme erinnernde Stil von «Ragu». Mit kleinstem Geld, zahlreichen Laiendarstellern, viel Improvisation und einer Digitalkamera entstand in bloss 14 Tagen ein kleiner, erfrischender Film, dessen beinahe dokumentarischer Charakter durch die in die Handlung eingefügten Interviews mit den Protagonisten noch verstärkt wird – eine gewöhnungsbedürftige Vorgehensweise, die bereits in Woody Allens «Husbands and Wives» (1992) oder zuletzt Edward Burns‘ «Sidewalks of New York» (2001) zu sehen war

Vielfältiges Gericht

Romanacci bezeichnet «Ragu», der bereits im Jahre 2000 am New Yorker Independent-Filmfestival mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, aber erst jetzt zum ersten Mal in unsere Kinos kommt, als eine Mischung aus seinem wirklichen Leben und seinem Theaterstück. Die Charaktere allerdings sind mitunter extrem überzeichnet, und wie bereits in «Indien» reiht Harather Klischee an Klischee, was einerseits natürlich in schroffem Widerspruch zur Authentizität vermittelnden formalen Komponente steht, woraus der Film andererseits aber gerade noch zusätzlich seinen Reiz bezieht. Erneut gelingt es Harather, seinen bisweilen höchst peinlichen Protagonisten eine komische Note zu verleihen, sie gleichzeitig aber nie blosszustellen. Zu jeder Zeit ist zu spüren, dass der Regisseur seine Figuren trotz all ihren Fehlern und Verfehlungen mag und sich nicht auf ihre Kosten profilieren möchte. In der zweiten Hälfte des Films – eine weitere Parallele zu «Indien» – rückt Harather denn auch die humoristischen Aspekte seiner Geschichte zunehmend in den Hintergrund und lässt die zu Beginn fast comichaften Gestalten schliesslich zu Menschen aus Fleisch und Blut werden. Eine hintergründige Tragikomödie will «Ragu» deshalb aber noch lange nicht sein, sondern vielmehr ein schlicht zubereitetes, leicht bekömmliches und keinerlei Nachwirkungen verursachendes Gericht aus italienischem Temperament, österreichischem Humor und amerikanischem Lebensstil.