Die Komplexität des Alltäglichen

Die  biografischen Tragikomödie «American Splendor» verwebt auf brillante Weise Fiktion und Realität und bietet Paul Giamatti die Plattform für eine der besten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nein, ein allzu angenehmer Zeitgenosse ist dieser Harvey Pekar bestimmt nicht, vielmehr ein notorischer Nörgler, ein griesgrämiger Grantler, ein kruder Choleriker. Und trotzdem ist er irgendwie liebenswert, dieser amerikanische Antiheld, der es mit seiner Comic-Reihe «American Splendor» und seinen inzwischen legendären Auftritten in der Show von David Letterman zu einigem Ruhm gebracht hat, währenddessen aber weiterhin seinem mies bezahlten Job als «Aktenableger» in einem öffentlichen Krankenhaus nachging. Die Einsamkeit fürchtet Harvey wie der Teufel das Weihwasser, unordentlich ist er, chaotisch, stets übellaunig – und ein exzellenter Beobachter menschlichen Treibens uns nicht zuletzt seiner selbst. Letzterer Eigenschaft hat er es denn auch zu verdanken, dass das Regieduo Shari Springer Berman und Robert Pulcini ihm nun mit «American Splendor» einen Film gewidmet hat, der ihn weit über den Comic-Kosmos hinaus bekannt machen wird. Denn «American Splendor» gehört mit zum Besten, was im Jahre 2003 in den USA gedreht wurde, wovon nicht zuletzt die zahlreichen Auszeichnungen zeugen, die dieser Film an solch renommierten Filmfestivals wie jenen von Cannes oder Sundance erhalten hat.

Sympathische Symbiose

Die Welt von Pekars Comics ist nicht die der Superhelden, sondern die ganz gewöhnlicher Durchschnittsbürger – oder besser gesagt: die eines mehr oder minder gewöhnlichen Durchschnittsbürgers namens Harvey Pekar. In Zusammenarbeit mit Comic-Ikonen wie Robert Crumb verarbeitet Pekar seit 1976 in der autobiografischen Reihe «American Splendor» seine ganz alltäglichen, ihn aber des Öfteren fast in den Wahnsinn treibenden Erlebnisse auf der Arbeit oder im Supermarkt inmitten so mancher skurriler Gestalt. In «Our Cancer Year» dokumentierte er mit Ehefrau Joyce ausserdem seine Krebserkrankung, deren Behandlung und Besiegung. Arbeit, Supermarkt und Krebserkrankung sind auch Stationen des eher episodenhaft gehaltenen Films «American Splendor», bei welchem Pekar höchstpersönlich als launiger Erzähler fungiert, der zwischendurch schon einmal feststellt, dass Hauptdarsteller Paul Giamatti ihm nicht im Geringsten ähnlich sehe. Meisterhaft verweben Springer Berman und Pulcini so und mit den immer wieder dazwischengeschalteten Interviews mit realen Figuren aus der «Pekar-Welt» Fiktion und Wirklichkeit. Zu einer wohl nicht spektakulären, aber durchaus sachdienlichen und sympathischen Symbiose zwischen den Medien «Film» und «Comic» kommt es zudem durch die regelmässige Einflechtung von Comic-Elementen in das filmische Geschehen. Das Kino wird hier zwar nicht neu erfunden, doch ist es schon eine Weile her, dass ein Film mit bescheidenen Mitteln, ohne intellektuelle Kraftmeierei, mit erfrischender Zurückhaltung und ohne selbstverliebte Zurschaustellung scheinbar grenzenloser Kreativität derart unverkrampft anspruchsvoll und auf formal originelle Weise zu unterhalten wusste.

Grandioser Giamatti

Sich ganz auf das Wesentliche, d. h. auf die Person Pekar, konzentrierend, stellen Springer Berman und Pulcini überdies eine Plattform für eine der herausragendsten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre bereit. Mag Harvey Pekar noch so lange einwenden, Paul Giamatti sehe ihm kein bisschen ähnlich, dieser bislang vornehmlich aus der zweiten oder gar dritten Reihe heraus agierende Mann ist schlicht perfekt für die Rolle. Für eine Oscar-Nominierung reichte es zwar ungerechterweise nicht, doch fand Giamatti immerhin Erwähnung in Sean Penns Dankesrede. Solcherlei oder aber auch die Auszeichnung des National Board of Review für die beste «Breakthrough Performance» lassen darauf schliessen, dass mit diesem lange unterschätzten Ausnahmekönner fürderhin verstärkt zu rechnen ist. Harvey Pekar wird all dies freilich egal sein, ist doch das Showbusiness eigentlich nicht so seine Welt. Mittlerweile befindet er sich im wohl verdienten Ruhestand, für den Film dürfte er den einen oder anderen Extra-Dollar eingestrichen haben, und mit dem im Zuge dessen entstandenen Comic «My Movie Year» hat er weiter an seiner Legende gestrickt. Nun also bleibt ihm genügend Zeit, um seiner Frau auf die Nerven zu gehen, rumzugranteln und natürlich seinen Alltag zu beobachten. Mit anderen Worten: Man wird von ihm hören.