Die lange Nacht des Jägers

Der Thriller «Collateral» von «Heat»-Regisseur Michael Mann ist in jeder Hinsicht hochklassiges Kino: atemlos spannend, atemberaubend fotografiert, klug, gewitzt und gut gespielt.

 

von Sandro Danilo Spadini

Als Taxifahrer, der des Nachts in den Strassen von L.A. seiner Arbeit nachgeht, ist Max (Jamie Foxx) sich einiges gewohnt. Aus der Bahn wirft diesen hilfsbereiten, ein wenig naiven Kerl nichts so schnell. Die Leute steigen ein, steigen aus, und in der Zwischenzeit lauscht er ihren Gesprächen, Streitereien, freiwillig oder unfreiwillig, schaltet sich auch mal ein, ein kleines Schwätzchen hier, ein bisschen Flirten da. Auch als der smarte Vincent (ein ergrauter und dreitagebärtiger Tom Cruise) auf dem Rücksitz Platz nimmt, deutet zunächst nichts auf etwas Besonderes hin. Ein höflicher Zeitgenosse scheint das zu sein, integer, interessiert, intelligent, weshalb Max auf dessen ungewöhnliches Angebot, seine Dienste für die ganze Nacht in Anspruch zu nehmen, letztlich auch eingeht. Dass er sich damit einen Auftragskiller aufgehalst hat, erkennt Max erst, als eine Leiche auf dem Dach seines Taxis landet – die Nummer eins auf Vincents fünf Namen umfassender Todesliste. Nun ist er ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, denn Vincent gedenkt, die ursprüngliche Abmachung trotz dieses Malheurs einzuhalten und sich von Max zu seinen restlichen Opfern kutschieren zu lassen.

Mann gegen Mann

Es dauert vielleicht fünf, maximal zehn Sekunden, es braucht ein, zwei Einstellungen, bis die freudige Vorahnung in einem hochsteigt, dass hier ein Meister seines Fachs am Werk war, dass die nächsten zwei Stunden eine kurzweilige Zeit reinsten und hochklassigsten Kinovergnügens sein werden. «Collateral» heisst der Film, und obwohl dieser ohne Vorspann auskommt, ist nach ebenfalls nur ein paar Augenblicken klar, dass hier Thriller-Spezialist Michael Mann («Heat», «The Insider») Regie geführt hat; kaum ein Regisseur verfügt dieser Tage nämlich über einen solch individuellen Stil wie der Erfinder der Kultserie «Miami Vice». Nach dem (kommerziellen) Flop mit der Boxerbiografie «Ali» ist Mann mit seinem neuen Werk auf vertrautes Terrain zurückgekehrt: Wieder wird die Geschichte zweier Männer, zweier Menschen aus Fleisch und Blut erzählt, die das Schicksal zu einem dramatischen Tanz auf Leben und Tod zusammengeführt hat, erneut einem Tanz freilich, der immer wieder von Pausen mit stillen und auch melancholischen Momenten unterbrochen wird, während deren die erschöpften Protagonisten innehalten und ihr Tun reflektieren. Nach den Ausnahmekönnern Robert De Niro und Al Pacino in «Heat» und nochmals Pacino sowie Russell Crowe in «The Insider» treiben sich dieses Mal mit Jamie Foxx ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt und mit Tom Cruise ein in der Rolle des Bösewichts gänzlich unerprobter Superstar zu Höchstleistungen an. Bei Foxx schlägt sich dies in einer schlicht grandiosen Leistung nieder, bei Cruise, der auch nach dem x-ten kaltblütigen Mord noch immer nicht so recht böse wirken mag, immerhin in einer ordentlichen Performance.

Unterhaltung und Kunst

Doch Foxx hin und Cruise her, der wahre Star dieses Films ist der Regisseur, der in einem einzigen Take mehr Bilder für die Ewigkeit auf die Leinwand zaubert, als es so mancher Berufskollege in seinem ganzen Künstlerleben fertig bringt. Seinem Ruf als Meister der edlen Optik wird Mann mit seinem wiederum von Nachtaufnahmen und einem virtuosem Spiel mit dem Licht dominierten neuen Film scheinbar spielend gerecht. Ästhetisch, elegant, geschmeidig ist die Bildsprache von «Collateral», alles wie aus einem Guss, auch noch beim Handkamera-Einsatz gleichsam fliessend, schwebend, hypnotisierend: So etwas schafft nur Michael Mann. Ruhig beginnt sein Film, fast schon bedächtig, um dann stets einen Gang höher zu schalten, die Dramatik auf die Spitze treibend, ins Unermessliche steigernd, die Action forcierend, aber zu keiner Zeit Gefahr laufend, in Aktionismus zu verfallen. Voller gewitzter Einfälle steckt «Collateral», voller Szenen, die über den Moment hinaus haften bleiben, voller gut geschriebener Dialoge und Episoden. Originell ist dieser Film, ohne damit anzugeben, cool, ohne aufgesetzt zu wirken, klug, ohne ins bemüht Philosophische abzudriften, und von A bis Z durchgestylt, ohne sich einer effekthascherischen Manieriertheit verdächtig zu machen. Bis hin zur intelligent eingesetzten, die nächtlich urbane, dramatische Stimmung präzise einfangenden musikalischen Untermalung ist das perfektes Unterhaltungskino – und gleichzeitig hohe (Regie-)Kunst. Auch so etwas schaffen neben Michael Mann nicht viele.