von Sandro Danilo Spadini
Ein Mann im Weissen Haus, der ferngesteuert wird von einem profitgierigen Multikonzern? Na klar, George W. Bush, werden Sie sich jetzt denken, und da haben Sie und Ihr Freund Michael Moore
natürlich schon Ihre durchaus berechtigten Gründe, wenn Sie diese Assoziation machen. Trotzdem befinden Sie sich gerade auf der falschen Fährte; denn die Rede soll hier von einem Mann sein, der
nicht nach persönlichem politischem Nutzen trachtet und dem naturgemäss gar nicht bewusst ist, dass er von finsteren Mächten während des 1991er-Golfkriegs mittels Gehirnwäsche und Implantat
gefügig gemacht wurde. Heute ist Raymond Shaw (Liev Schreiber) Kriegsheld, Anwärter auf das Amt des Vizepräsidenten der USA und Marionette besagten Konzerns, die alsbald den neu zu wählenden
ersten Mann im Weissen Haus beerben soll. All dies geschah und geschieht freilich mit dem Wissen von Shaws politisch ebenfalls aktiver Mutter (Meryl Streep), deren Machthunger und
Skrupellosigkeit alles real Dagewesene (und hoffentlich fürderhin zu Gewärtigende) in den Schatten stellen und die auch Bush und Konsorten wie einen Haufen weibischer Poesiesozialisten ausschauen
lässt.
Geschickte Anpassungen
Nicht wenigen von Ihnen dürfte obige Story bekannt vorkommen, und dieses Mal liegen Sie auch richtig: 42 Jahre ist es her, dass John Frankenheimer den bisweilen zwar von der Zeit überholten, aber
nichtsdestotrotz noch immer ungemein packenden Politthriller «The Manchurian Candidate» schuf, den nun Jonathan Demme leicht modifiziert und stark modernisiert erneut verfilmt hat. Bei ihren
Anpassungen haben Demme und seine Drehbuchautoren glücklicherweise ein sicheres Gespür bewiesen und trotz einiger markanter Eingriffe keinen Verrat an der Vorlage geübt. Vielmehr gibt sich ihre
Version gleichzeitig zeitgeistiger und realitätsnäher. Dass bei Demme etwa der Angriff auf die Grundfeste der US-Demokratie nicht mehr vom roten China, sondern aus den eigenen (wirtschaftlichen)
Reihen kommt, entbehrt eingedenk des Enron-Skandals und Ähnlichem nicht einer gewissen Logik. Auch die andere grosse – rein dramaturgische Überlegungen betreffende – Modifikation ergibt Sinn: War
es im Original der tumbe Stiefvater des «Schläfers» Shaw, der die politischen Ambitionen der Mutter in die Tat umsetzen sollte, wird im Remake mit der Beförderung Shaws zum Vizepräsidenten in spe
eine die Dynamik des Plots steigernde Abkürzung genommen. Dass sich ausserdem immer wieder (mehrheitlich zweideutige) Bezüge zum aktuellen US-Polit-Geschehen ausmachen lassen, ist schliesslich
ebenfalls so begrüssenswert wie sinnfällig.
Gut, aber nicht gross
Wie schon das Original mit Frank Sinatra wird auch die Neuverfilmung von einer ausnehmend starken Persönlichkeit in der Hauptrolle getragen: Denzel Washington spielt den vermeintlich am
Golfkriegssyndrom erkrankten US-Army-Major Marco Bennett, Shaws Vorgesetzten beim Einsatz in Kuwait, dessen in Träumen und Halluzinationen aufflackernde Erinnerungen an die wahren Geschehnisse
auf die Spur der Verschwörung führen. Überaus illuster sind zudem die Nebenrollen besetzt, in welchen etwa Jon Voight, Jeffrey Wright und Bruno Ganz zu sehen sind und Freude machen. Ein wenig
getrübt wird diese lediglich durch einen gewissen Mangel an atmosphärischer Dichte. Wohl bedeutet «The Manchurian Candidate» für Demme nach dem indiskutabel missratenen und desaströs gefloppten «Charade»-Remake «The Truth About
Charlie» einen Quantensprung zurück auf ein hohes Level; die kühne Meisterschaft, die ihm vor 13 Jahren den Regie-Oscar für «The Silence of the Lambs» einbrachte, hat er indes noch nicht gänzlich
wiedererlangt. Letztlich aber ist Stoff einfach zu gut, als dass das Endprodukt durch einige kleinere formale Verfehlungen und eine zu geringe inszenatorische Risikobereitschaft ernsthaft Schaden
nehmen könnte. Dass Demme in inhaltlicher Hinsicht die Katze schon relativ früh aus dem Sack lässt, ist andererseits wohl dem Bekanntheitsgrad des Originals geschuldet und tut der Spannung keinen
Abbruch. Gleichwohl bleibt es dabei: Mit einem etwas inspirierteren Regisseur oder mit einem Jonathan Demme in Bestform wäre «The Manchurian Candidate» wohl nicht nur ein wirklich sehr gutes
Remake, sondern ein wahrhaft grosser Film geworden.