...denn sie ahnen, was sie tun

In Catherine Hardwickes auf Realismus und Zeitgeist bedachtem Drama «Thirteen» werden der Absturz einer 13-Jährigen und die daraus resultierenden Folgen für die Familie nachgezeichnet.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es gibt gewiss Interessanteres, als 13-jährigen amerikanischen Mädchen dabei zuzuschauen, wie sie versuchen, erwachsen zu werden – also ihnen dabei zuzuschauen, wie sie das erste Mal saufen, rauchen und kiffen, klauen, dealen und koksen, den Teddybären in die Ecke kicken, sich einen aufreizenden Girlie-Look zulegen und von Essstörungen geplagt werden, sich piercen lassen, mit Jungs rummachen und ihre Eltern in den Wahnsinn treiben. Ja, unschuldig sind diese (repräsentativen?) 13-Jährigen aus Catherine Hardwickes «Thirteen» beileibe nicht, aber, wie gesagt, besonders aufregend ist deren Geschichte deshalb noch lange nicht. DEnn vieles, das womöglich schockieren sollte, hat man bereits an anderer Stelle schon mit dem verständnislosen Kopfschütteln des nicht mehr auf der Höhe der Zeit Stehenden zur Kenntnis genommen: Backfisch gerät unter den schlechten Einfluss der Vorzeige-Tussi der Schule, steigt in der Hierarchie auf, lässt ihre Backfisch-Freundinnen nach ihrem – freilich optisch markierten – sozialen Aufstieg links liegen, macht all das Obenerwähnte, wodurch bei der eigentlich antiautoritär eingestellten Mutter (selbstredend alleinerziehend und mit unzuverlässigem Freund sich herumplagend) die Alarmglocken zu schrillen beginnen. Na klar, gestritten und geheult wird dann auch noch ganz viel, und am Schluss ist allen Beteiligten klar, dass sie Fehler gemacht haben. Alles wie gehabt also? Allerdings! Mieser Film also? Keineswegs!

Realitätsnah und zeitgeistig

Provokativ ist der Beginn von «Thirteen». Wir sehen zwei Teenager (Evan Rachel Wood und Co-Drehbuchautorin Nikki Reed) beim munter-unbeschwerten Drogenkonsum. Das Mittelchen zeigt seine Wirkung. «Ich kann nichts fühlen», lallt die eine. Mädchengelächter. «Schlag mich so hart du kannst», fordert sie ihr Gegenüber auf, und schon stellt sich beim nüchternen Betrachter ein erstes Mal Befremden ein. Wenn Brad Pitt und Edward Norton in «Fight Club» so was sagen – nun gut. Das sind schliesslich zwei gestandene Kerle, die wohl wissen, was sie tun. Aber dieses süsse kleine Mädchen?! Die gleichfalls zugedröhnte Freundin tut, wie ihr geheissen, und verlangt hernach auch gleich nach Prügel. Es fliegen die Fäuste. Blut. Mehr Schläge. Mehr Blut. Dann war ein Schlag wohl etwas zu hart. Panik. Und Schnitt. Insert: vier Monate früher. Hektisch geht es weiter. Derweil auf der Tonspur lautstark gehippt, gehoppt, gerockt und gefunkt wird, fängt die nervöse Handkamera drei Mädchen ein, die im Gegensatz zu den meisten anderen Gleichaltrigen auf diesem Schulhof so aussehen, wie 13-Jährige früher einmal ausgesehen haben. Rau sind die Sitten hier. «Bitch», «puta», hallt es diesen drei nichts Böses im Sinn habenden Wesen bereits im Gang entgegen. Angenehm ist dieses Ambiente nicht, aber immerhin ist zu diesem Zeitpunkt die Welt für unsere Titelheldin noch in Ordnung. Wenig später wird sie auf unheilvolleren Pfaden wandeln.

Seriöse Auseinandersetzung

Detailgetreu, hautnah, aber nie reisserisch wird in «Thirteen» der beschwerliche Weg zum Erwachsenwerden inmitten sozialer Zwänge nachgezeichnet. Realitätsnah und zeitgeistig gibt sich die Inszenierung. Das alles ist wohl kompetent gemacht und bietet eine seriöse und intelligente Auseinandersetzung mit dem Thema, so richtig interessant wird es aber erst, wenn auch die Elternperspektive ins Spiel gebracht wird – nicht nur wegen der grossartigen Holly Hunter (Oscar-nominiert und Golden-Globe-prämiert), sondern auch, weil das (zumindest reifere) Publikum in ihr eine Verbündete findet, deren Nerven ebenfalls allmählich strapaziert sind ob all dem jugendlichen Übermut und Egoismus, der durch das schwierige Umfeld, die zerrütteten Familienverhältnisse und den sozialen Druck nur zum Teil gerechtfertigt wird. Ganz so einfach macht es Hardwicke einem dann also doch nicht. Denn mögen es diese Mädchen vielleicht nicht genau wissen, so ahnen sie doch wenigstens, was sie tun. Und wenn dann zum Schluss die Beats auf der Tonspur verstummen und den Bildern allmählich die Farben entzogen werden, ist «Thirteen» allen Déja-vus zum Trotz an einem Punkt angelangt, wo sich (fast) alles zu einem durchaus stimmigen Ganzen fügt.