von Sandro Danilo Spadini
Es soll mehr sein als nur ein an Pflastersteinen angebrachter und in Tränengas getauchter Denkzettel, was Alex (Vincent Bonillo) und Fred (François Nadin) den Polit- und Wirtschaftsführern der
Welt verpassen wollen. Zwei Wochen vor Beginn des World Leaders Summit (WLS) in Gstaad stehen die beiden jungen Globalisierungsgegner unmittelbar vor dem grossen Coup im Kampf für die gute Sache:
Mittels eines von Fred entwickelten Computervirus, den Alex als Mitglied der firmeneigenen Putzequipe in das internationale Zahlungsverkehrssystem einer Schweizer Clearingbank einschleusen soll,
wollen sie die machthungrigen und profitdurstigen globalen Geschicksleiter in die Knie zwingen. Scheitern kann die Sache jetzt eigentlich nur noch an menschlichem, sprich: Alex’ Versagen. Oder
eben halt an den Launen der wankelmütigen Glücksgöttin Fortuna. So wacht denn Alex drei Tage nach dem geplanten Gummiknüppelschlag ins Nervenzentrum der WLS-Exponenten in einem Krankenhausbett
auf. Mit Transfusionen am Arm und Verband am Kopf, aber ohne Kurzzeitgedächtnis und Wissen um die Erfolgsbilanz seines «terroristischen» Tuns. Verlassen habe sie ihn, teilt ihm seine Freundin
Lucie (Delphine Lanza) mit; zusammengebrochen sei er bei der Ausführung seiner Raumpflegeaktivitäten im Computerkontrollraum der Bank, hilft ihm sein Chef auf die Sprünge; ein Auto habe ihn
angefahren, lässt ihn Ärztin Tarkova (Irene Godel) wissen, die zudem eine Therapie empfiehlt, mit deren Hilfe es Alex gelingen soll, das Puzzle zusammenzusetzen und die Ereignisse jener Nacht zu
rekonstruieren. Doch die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Vision und Erinnerung, bleibt so unscharf, wie es im Ungewissen verharrt, wem Alex nun trauen kann und wem nicht. Und
das kann tödliche Konsequenzen haben.
Intelligent und spannend
Eine spannende Geschichte ist das, was der Westschweizer Regisseur Romed Wyder zusammen mit Yves Mugny und Maria Watzlawick da für sein Filmpuzzle «Absolut» ersonnen hat. Eine Geschichte für das 21.
Jahrhundert, die zeitgeistig und glaubwürdig, auf narrativ ausgeklügelte und intelligent-unterhaltsame Art das klassische Hollywood-Motiv des amnesiegeschädigten Einzelkämpfers mit Elementen der
Siebzigerjahre-Paranoiathriller verbindet. Entstanden ist so ein Film irgendwo zwischen «The Yes Men», «Memento», «The Pelican Brief», «Spellbound» und «Three Days of the Condor» – freilich dann
aber schon auf etwas bescheidenerem, gutbürgerlich helvetischem Niveau. Denn anders als Schweizer Kollegen wie Manuel Flurin Hendry für seinen fulminanten Erstling «Strähl» und insbesondere
Florian Froschmayer für den Medienkrimi «Exklusiv» bedient sich Wyder mehr einer sachlichen Bildsprache, die auf der grossen Leinwand kaum (US-amerikanischen) Kinozauber zu entfachen vermag. Als
Mangel an Fantasie oder gar Handwerksgeschick muss dies indes nicht zwingend verstanden werden; vielmehr dürfte die unspektakuläre visuelle Ausgestaltung, die dann aber etwas inkonsequenterweise
den letzten Tick Realismus vermissen lässt, als eine Art Authentifizierungsstrategie gewertet werden, soll doch «Absolut» gemäss Pressetext und aufwendig gestalteter Website auf wahren
Begebenheiten beruhen.
Identifikation mit dem Helden
Wyders Strategie, sollte es denn eine sein, geht jedenfalls durchaus auf; der Fokus ist – auch aufgrund solider, aber unauffälliger schauspielerischer Darbietungen – ganz auf den Plot gerichtet;
und dieser fesselt auch dann noch, wenn der Film nach vollzogener Rekonstruktion des vormals Bruchstückhaften und einigen erzähltechnischen Kapriolen eine neue Richtung einschlägt – zumal sich
das Skript nicht über die Massen an seiner eigenen Cleverness ergötzt. Indem Wyder dem Zuschauer keinerlei Wissensvorsprung vor dem Helden gewährt und er diesen fast in jeder Szene auftreten
lässt, stellt er ein grösstmögliches Identifikationspotenzial her, das auch die Frage nach Recht und Unrecht seiner Handlungen in den Hintergrund rücken lässt. Um die politische und
gesellschaftliche Komponente ist «Absolut» ohnehin nur wenig bekümmert, was wiederum erahnen lässt, welch noch grössere Möglichkeiten sich hier, mit diesem Drehbuch und in dieser Zeit, geboten
hätten. Versemmelt hat Wyder seine Chance indes gewiss nicht. Absolut nicht.