von Sandro Danilo Spadini
Es ist gewiss kein gutes Zeichen, wenn ein ambitionierter Film wie «An Unfinished Life» erst zwei Jahre nach Fertigstellung herausgebracht wird – und das – wenigstens in den USA – dann auch noch zu
einem umsatzschwachen und Oscar-technisch ungünstigen Zeitpunkt. Dass es überhaupt noch dazu gekommen ist, hat freilich direkt mit einer der spektakulärsten Management-Personalien der jüngeren
Hollywood-Geschichte zu tun: dem Ende September offiziell gewordenen Ausscheiden der Weinstein-Brüder aus der Exekutive des von ihnen zum Trophäenhamsterer aufgebauten und alsdann von Disney
übernommenen Miramax-Studios. Bevor dort die neue Zeitrechnung beginnen konnte, mussten indes noch geschwind einige Altlasten und Restposten aus der Weinstein-Ära auf dem Direct-to-Video-Markt
entsorgt oder im undankbaren Kinoherbst verwertet werden. So etwa Terry Gilliams «The Brothers Grimm», John Dahls «The Great Raid» – und eben «An Unfinished Life», inszeniert vom schwedischen
Miramax-Veteranen Lasse Hallström («The Cider House Rules», «Chocolat»), in Robert Redford, Morgan Freeman und Jennifer Lopez mit gleich drei Stars von der sogenannten A-Liste powernd.
Bewährte Formeln
Hallström-typisch handelt es sich auch bei «An Unfinished Life» um die Verfilmung eines allseits geschätzten Romans, der von dessen Autor Mark Spragg – zusammen mit der Frau Gemahlin – gleich
selbst für die Leinwand adaptiert wurde. Es ist dies die wohl erprobten (Miramax-)Formeln folgende und keinen Millimeter von diesen abweichende Geschichte um Schuld und Sühne, um Vergebung und
Aussöhnung, vom Überwinden der Vergangenheit, vom Besiegen der inneren Dämonen. Beleuchtet werden die individuellen Schicksale und vor allem das Zusammenleben und Zueinanderfinden einer von
Spannungen erschütterten Zweckgemeinschaft, bestehend aus der Jungwitwe Jean (Lopez), deren vorpubertären Tochter Griff (erstmals: Becca Gradner), dem vormals trinksüchtigen Schwiegervater Einar
(Redford) und dessen seit dem Recontre mit einem Bären bettlägerigen Freund und Gehilfen Mitch (Freeman). Auf der Flucht vor ihrem jähzornigen Ex-Freund (Damian Lewis) sucht Jean mit Griff im
Schlepptau Schutz auf Einars Farm in Wyoming (Drehort: British Columbia, Kanada), wo sie freilich alles andere als willkommen ist, zumal ihr der sture Einar noch immer die Schuld am Unfalltod
seines Sohnes gibt. Damit alles so wird, wie es in einem Hallström-Film am Ende sein muss, bedarf es also dringend der Vermittlung des weisen und bauernschlauen Mitch, der Naivität der etwas
linkischen Griff und eines recht angestrengt um Metaphorik bemühten Subplots um den angriffslustigen Bären.
Harmonische Opulenz
Emotionale Berg-und-Tal-Fahrten und naturbelassene Landschaften – das ist Lasse Hallströms Welt, und deshalb gab es für den Regieposten bei «An Unfinished Life» keine logischere Lösung als ihn.
Ebenso unspannend schlüssig ist die Besetzung mit Redford als rauem Naturburschen (siehe etwa «The Horse Whisperer»), Lopez als Opfer männlicher Gewalt (siehe «Enough») und Freeman als stoischem
Gutmenschen (siehe praktisch jede Rolle, die Freeman je gespielt hat) – wobei gerade das Zusammenspiel der beiden älteren Herren suspekt ist, gleicht es doch auf den Punkt jenem Clint Eastwoods
und Freemans im – notabene später gedrehten! – Oscar-Hit «Million Dollar Baby». Die viel gescholtene J.Lo schlägt sich an der Seite der formstarken Haudegen wacker, erreicht aber zu selten die
von ihrer Figur geforderte Tiefe. Hallström wird darob indes kaum verzagt sein; mehr noch als die Ausgestaltung der Charaktere interessiert ihn ja seit je die Kulisse, die er auch hier in
erdigen, von purer Naturgewalt strotzenden und mit ruhiger Hand eingefangenen Bildern und insbesondere zu Beginn mit wunderschönen, die Figuren gleichsam schluckenden Weitwinkelaufnahmen
einzufangen versteht. Nachgerade verschüttet werden ob dieses Hangs zur harmonischen Opulenz – wie zuletzt in «The Shipping News» – auch die kontroversen Themen des Stoffs, die Platz machen
müssen für eine gar euphorische Zelebrierung der Hemdsärmligkeit und der Verschrobenheit der kernig parlierenden Landbevölkerung. Unter der ganzen Gemütlichkeit und Gediegenheit, die letztlich
zur Betulichkeit und Behäbigkeit auswächst, leiden derweil Erzählfluss und Timing der ziemlich dünnen Geschichte. Zudem hat der sich als Independant-Produktion tarnende Mainstream-Film ein
kleines Glaubwürdigkeitsproblem: Noch so lange mag er daherkommen, als sei sein Ziel nicht L.A., sondern Salt Lake City – unter der für Redfords Sundance-Filmfestival rausgesuchte
Jeans-Flanellhemd-Kluft erkennt man nur allzu deutlich den – umsonst – für die Oscar-Verleihung gemieteten Smoking.