von Sandro Danilo Spadini
Am 14. April 1969 war es, als sich die Juroren der Academy partout nicht auf eine mit dem Oscar zu prämierende Würdenträgerin in der Kategorie «Beste Hauptdarstellerin» festlegen konnten und in
einer historisch einzigartigen Ex-aequo-Entscheidung sowohl Barbra Streisand als auch Katharine Hepburn mit dem allenthalben umschwärmten Männchen aus Gold beglückten. Gewiss ist es davor wie
danach vorgekommen, dass ein solcher Kompromiss mitnichten als schal, sondern vielmehr als sinnig zu werten gewesen wäre; selten jedoch haben sich während eines Bewertungszeitraums gleich zwei
Schauspielerinnen derart mirakulös hervorgetan wie im letzten Jahr, und selten wäre es mithin mehr angezeigt gewesen, die Geschichte von 1969 zu wiederholen und abermals zwei Goldjungs in ein und
derselben Kategorie auszugeben. Bekanntermassen ist es aber anders gekommen: Aus den Händen des fadisierten Sean Penn durfte das «Million Dollar Baby» Hillary Swank besagten Goldjungen in Empfang
nehmen – derweil «Being Julia»-Diva Annette
Bening beim gönnerischen Applaus für die Prämierte wohl eine neuerliche schauspielerische Glanzleistung abrufen musste, um ob des Verdrusses über ihre dritte ungekrönt gebliebene Nominierung
ihrem Göttergatten Warren Beatty nicht in den Arm zu beissen. Doch immerhin gibt es ja noch die Golden Globes, wo grundsätzlich in zwei Sparten ausgezeichnet wird, sodass Bening und Swank für
einmal ganz ungezwungen zusammen lächeln konnten.
Diven- und zickenhaft
Nichts zu suchen bei den diesjährigen Preisverleihungen hatten einleuchtenderweise «Being Julia»-Regisseur István Szabó («Mephisto») und alle anderen an diesem Projekt beteiligten Menschen, ist
doch deren Anteil am Gedeihen der anno 1938 im Londoner Theatermilieu spielenden Tragikomödie nicht gar so hoch zu gewichten. Einzig und allein Bening («American Beauty») ist es geschuldet, dass
sich die mit Liebesturbulenzen und Intrigen gespickte, etwas zu gediegen inszenierte Geschichte um die divenhafte wie begnadete Theater-Aktrice Julia Lambert vom Gängigen abhebt. Selbst ein Genie
wie Jeremy Irons, der hier den von Julias hitziger Affäre mit einem schwärmerisch-forschen amerikanischen Jüngling leidlich beeindruckten Ehemann spielt, vermag in Benings Schatten kaum Akzente
zu setzen; überwältigt vom vermeintlich leichtfüssigen Kraftakt seiner Kollegin scheint sich auch er nonchalant damit abzufinden, zum illustren Stichwortgeber degradiert zu werden. Auf den Spuren
von Katharine Hepburn, der Grössten aller Grossen, wandelnd und deren überdimensionale Fussstapfen bisweilen vollständig ausfüllend, lässt sich Bening von nichts und niemandem die Show stehlen;
inmitten sonnendurchfluteter, von herbstlichen Tönen dominierter und durchaus stimmiger Bilder spielt die 46-Jährige als zunächst von einer Sinnkrise geplagte und zickenhaft überspannte, sodann
im Liebestaumel gefangene und mädchenhaft überdrehte und schliesslich rachdurstig überkandidelte Theater-Ikone die Rolle ihres Lebens.
Schillernd und strahlend
«Deine einzige Realität ist das Theater», wird Julia einmal von ihrem längst im Jenseits weilenden, sie aber nach wie vor auf Schritt und Tritt begleitenden Mentor (Michael Gambon) in Erinnerung
gerufen. Theater spielen ist denn auch das Einzige, was Julia selbst abseits der die Welt bedeutenden Bretter macht. Oder auch nicht. Denn viel zu facettenreich ist Benings Darstellung, als dass
diese Julia fassbar würde: Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt sieht man sie, süss und biestig, stark und verletzlich, falsch und aufrichtig, kultiviert und frivol, berechnend und
bezaubernd, durchschaubar und enigmatisch – und bei alledem immer schillernd. Und strahlend. Immerzu strahlend dank der göttlichen Annette Bening. «Du bist ein Monster. Ein wundervolles,
prächtiges Monster», konstatiert Irons’ Figur abschliessend. Ein Monster. Ein Biest. Ein Miststück. Wie auch immer. Selten jedenfalls war eine kinematorgrafische Versuchung grösser und
greifbarer. Fast kommt man sich nach Spielschluss so vor, als hätte man selbst eine Liebesaffäre mit dieser Julia gehabt: Stürmisch und spannend war sie, erheiternd und aufreibend – und, wie das
halt oftmals so ist, viel zu kurz.