Nicole und die unsterbliche Liebe

Jonathan Glazers zwar atmosphärisches, aber mit einigen Mängeln behaftetes Drama «Birth» lebt in hohem Masse von einer neuerlichen Glanzleistung von Hauptdarstellerin Nicole Kidman.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es gibt da zu Beginn von «Birth» eine Einstellung, in der die Kamera volle zwei Minuten auf dem fast regungslosen und doch so aussagekräftigen Gesicht von Nicole Kidman verharrt. Ferner findet sich etwa in der Mitte des Films dieser ungewöhnlich lange Monolog, den Kidman in einem einzigen Take, ohne Pause, ohne Schnitt bewältigt. Und dann wäre da noch die Schlusssequenz, die uns ihre taumelnde, vom Vorangegangenen erschütterte Figur zeigt. Drei Szenen, die nicht nur exemplarisch sind für «Birth»; drei Szenen vielmehr auch, die aufzeigen, weshalb dies ganz unbestritten der Film der Nicole Kidman ist; und drei Szenen schliesslich, die ein Bild davon vermitteln, zu welch atemberaubender Könnerschaft es die Australierin mittlerweile gebracht hat. Und trotzdem: Noch nie war Kidman so authentisch, so natürlich, noch nie wirkte sie so kindlich, so zerbrechlich und selten war sie so gut wie hier.

Im besten Licht

Zu der stetig wachsenden Fraktion von Kidman-Anhängern darf fraglos auch «Birth»-Regisseur Jonathan Glazer gezählt werden, der seiner Hauptdarstellerin unendlich viel Raum zur Entfaltung lässt und sie in auffallend vielen und eben auch langen Close-ups ins beste Licht rückt. Treffend hat der Engländer erkannt, dass sich in Kidmans Gesicht mitunter mehr abspielt als in ganzen dialogschweren Charakterstudien. Denn wo andere Schauspielerinnen fünf Purzelbäume schlagen müssen, um den gewünschten emotionalen Effekt zu erzielen, genügt der so Wandelbaren und Wunderbaren ein Wimpernzucken, ein Augenaufschlag, ein flüchtiges Lächeln. Und genau dies ist es, diese hohe (Schauspiel-)Kunst der feinen Nuancen, der vornehmen Zurückhaltung, der blossen Akzentuierung, genau dies ist es, was Kidman hier zelebriert und was letztendlich auch diesen Film ungeachtet so manchen Makels sehenswert macht. In Gesellschaft von solch distinguierten Kollegen wie Lauren Bacall, Anne Heche und Peter Stormare bewegt sich Kidman in «Birth» als Jungwitwe Anna in den besseren Kreisen. Zehn Jahre nach dem Tod ihres über alles geliebten Gatten ist Anna entschlossen, erneut zu heiraten und so die Dämonen der Vergangenheit zum Verstummen zu bringen. Kurz vor der Trauung jedoch taucht ein zehnjähriger Junge auf, der durchaus schlüssig behauptet, die Reinkarnation ihres vormals Liebsten zu sein. Und Annas soeben wiedergewonnene Leichtigkeit des Seins weicht abermals innerer Zerrissenheit und bleischwerem Sinnieren.

Hypnotisch und entrückt

«Birth» ist einer dieser Film, bei denen man womöglich einen praktizierenden Zen-Buddhisten auf dem Regiestuhl zu erblicken vermutet, bestimmt nicht aber einen Mann wie Jonathan Glazer, der noch vor vier Jahren, in seinem Debüt «Sexy Beast», Ben Kingsley die Sau rauslassen liess. Dieser Film nun aber, sein zweiter, ist beherrscht von einer eleganten, geschmeidigen, kühlen und klaren Bildsprache, von langen Einstellungen, verträumten Kamerafahrten, hypnotischen Klangwelten und bisweilen auch von purer Stille. Glazer scheint halt doch kein Mann zu sein, der sich gerne hetzen lässt. Das Erzeugen von Dramatik mittels stimmiger Atmosphäre geniesst bei ihm augenscheinlich oberste Priorität, derweil der Stringenz im Handlungsaufbau offenkundig weniger Beachtung geschenkt wird. Die Konsequenz daraus ist, dass bei aller stimmungsvollen Langsamkeit und zwischenzeitlicher Langatmigkeit letztlich die Zeit für die Konstruktion eines veritablen Spannungsbogens fehlt. Überaus unerwünschterweise provoziert die unabstreitbare Absurdität der Geschichte zu allem Übel dann und wann auch noch unfreiwillige Komik. Die Kurve kriegt Glazer denn erst wieder, wenn er eine Viertelstunde vor Ende die Katze aus dem Sack lässt und seinen zuvor schwerelos, entrückt und delirierend in luftigen Höhen schwebenden Film zurück auf den Boden holt. Der finale Bruch mit der Erwartungshaltung zeigt jedenfalls mehr Wirkung als jener mit den Sehgewohnheiten, mit dem sich Glazer schon ein bisschen der prätentiösen Stilverliebtheit verdächtig macht. Dass die so sehnlichst herbeigeflehte Magie nicht gänzlich auf der Strecke bleibt, ist indes sehr wohl auch ihm geschuldet. Zumal kaum ein Regisseur die Kidman bis dato so schön in Szene gesetzt hat. Und da ist er dann, der magische Moment: ein Wimpernzucken, ein Augenaufschlag, ein flüchtiges Lächeln.