von Sandro Danilo Spadini
Gerade mal vier Sprechrollen waren für Mike Nichols’ Verfilmung von Patrick Marbers Theaterstück «Closer» zu besetzen. Dass Nichols nach wie vor ein Meister der Besetzung (und
Schauspielerführung) ist, belegt eine abermals absolut taugliche Wahl bei der Rollenvergabe, die schon nach wenigen Spielminuten offenbar wird: Mit der US-Jungaktrice Natalie Portman, dem
britischen Haudegen Clive Owen, dem Oscar-dekorierten Schätzchen Julia Roberts und dem viel beschäftigten Beau Jude Law hat sich ein heterogenes Trüppchen zu einem nervenaufreibenden und
schweisstreibenden Seelenstriptease eingefunden, das in corpore die quasi auf dem Silbertablett servierte Chance zur schauspielerischen Profilierung nicht ungenutzt verstreichen lässt.
Dialogschweres Drehbuch, lebensechte Figuren, komplexe Gefühlswelten – das ist der Stoff, aus dem Schauspielerträume sind. Bei derartigen Voraussetzungen nimmt man es auch in Kauf, dass sich die
Sympathiewerte sämtlicher Figuren im unteren Bereich bewegen.
Mini-Liebesreigen
Der in London sich abspielende Mini-Liebesreigen setzt ein mit dem knisternden Zusammentreffen von Dan (Law) und Alice (Portman), er ein Nachrufe verfassender Journalist mit literarischen
Ambitionen, sie eine ehemalige Stripperin. Nach der ersten Abblende sind die beiden längst ein Paar und nicht mehr dieselben, die sie in der Ouvertüre noch waren. Die Schmetterlinge sind bereits
dem Kältetod zum Opfer gefallen, und Dan ist gerade dabei, seine Fühler nach der kühlen Fotografin Anna (Roberts) auszustrecken. Diese aber verschmäht den inzwischen zum blasierten Pseudopoeten
avancierten Gigolo zunächst und landet stattdessen in den Armen und im Bett des etwas derben Dermatologen Larry (Owen). Den Test der Zeit besteht aber auch dieses Paar nicht; immer auf der Suche
nach dem schnöden Nervenkitzel, beginnen Dan und Anna doch noch eine Affäre miteinander und brechen mit dem späten Geständnis ihres Betrugs – den stärksten und intensivsten Szenen eines starken
und intensiven Films – die Herzen ihrer nunmehrigen Ehepartner. Und wenn sich die dergestalt Gepeinigten auch noch gemeinsam in den Laken wälzen, ist der Reigen abgeschlossen und die Zeit für
eine Bestandesaufnahme gekommen, die überaus ernüchternd ausfallen wird.
Perfekte Erzählstruktur
Ein kopflastiges «Feelbad Movie», einen Problemfilm hat Mike Nichols («The Graduate») hier gedreht. Ausgerechnet an ihm, einem der legendären «New Hollywood»-Revoluzzer der späten 60er- und
frühen 70er-Jahre, ist es, die Kehrseiten von sexueller Offenheit zu entlarven und eine präzise, nüchterne Anatomie der Ich-Gesellschaft mit ihren von orientierungslosen Teilzeit- und
Schönwetter-Liebenden bevölkerten Beziehungsschlachtfeldern vorzunehmen. Dass sich der 73-Jährige, nach der eindrücklichen TV-Miniserie «Angels in America» erneut ein Theaterstück von der Bühne
auf die Leinwand bringend, mit solcherlei auskennt, hat er in seiner fast 40-jährigen Karriere erschöpfend dokumentiert. Es liesse sich gar sagen, dass der Regieveteran mit «Closer» gleichsam zu seinen Wurzeln zurückkehrt, fühlt
man sich bisweilen doch unweigerlich an den nackten, namenlosen Terror erinnert, den Elizabeth Taylor und Richard Burton als zänkisches Ehepaar in Nichols’ Erstling «Who’s Afraid of Virginia
Woolf» veranstalteten. Mögen auch die Protagonisten von «Closer» noch nicht ganz so fertig sein wie Taylor und Burton in der ebenfalls auf vier Personen angelegten Theateradaption, so sind sie
doch auf dem besten Weg dorthin. Regelrechte Zombies sind das, gefangen in einem Gestrüpp aus Vertrautheit und Verrat, Geborgenheit und Gebrochenheit, Verlust und Vergebung, unfähig zu lieben,
verliebt in einen abstrakten Entwurf, an dem sie ihre Egoismen befriedigen können. Menschen, die äusserlich so schön wie sie innerlich hässlich sind, die niemals mehr preisgeben als unbedingt
nötig und die selbst in der bitteren Stunde der Wahrheit noch verlogen wirken. Für all dies hat Nichols nicht nur die passende Besetzung, sondern auch eine effektvolle Erzählstruktur gefunden:
Indem er mittels Zeitsprüngen und der daraus resultierenden Aussparung der amourösen und sexuellen Rosentage jeweils direkt vom Süssholzraspeln zum Geschirrzerschlagen überblendet, hält er seinen
auch optisch gefälligen Film jederzeit in Schwung. Mit «Closer» hat Nichols jedenfalls ein kleines Kunststück fertig gebracht: ein Alterswerk zu drehen, das die Handschrift des Meisters klar
erkennen lässt, dabei aber zu keiner Zeit antiquiert wirkt. Seine fünf Golden-Globe-Nominierungen – als bester Film, für das Drehbuch, Nichols, Portman und Owen – hat sich dieser cineastische
Triumph denn auch redlich verdient.