Engel im Hexenkessel

Unter der feinen Regie von «Million Dollar Baby»-Autor Paul Haggis agieren im insgesamt überzeugenden Grossstadtdrama «Crash» unter anderen Don Cheadle und Sandra Bullock.

 

von Sandro Danilo Spadini

Robert Altmans «Short Cuts» und Paul Thomas Andersons «Magnolia» sowie Lawrence Kasdans «Grand Canyon» und Willard Carrolls «Playing by Heart»: eine Tradition, zwei Meilensteine sowie zwei kleine Denkmäler, vier Filme, die parallel mehrere an den Rändern zusammenhängende Geschichten erzählen, allesamt mit einem illustren Darsteller-Ensemble bestückt, allesamt in Los Angeles spielend. Und nun also «Crash», das Kinoregiedebüt des TV-erprobten Autors und Regisseurs Paul Haggis, der zuletzt das Skript zu Clint Eastwoods Oscar-dekoriertem «Million Dollar Baby» schrieb. Wieder diese Patchwork-Struktur, wieder Stars en masse und vor allem wieder L.A., die Stadt der Engel und Bengel, die hier trotz Don Cheadle, Matt Dillon, Ryan Phillippe, Branden Fraser, Sandra Bullock und Jennifer Esposito die wahre Hauptdarstellerin ist. Zum Thema hat dieses Drama den Zusammenprall der Kulturen in der kalifornischen Metropole, den «Culture Clash» und bisweilen eben auch «Crash». Angehörige aller Ethnien und Schichten, Gesetzeshüter und Kleinkriminelle, Mächtige und Machtlose bilden das Personal von «Crash» – darunter Engel mit schmutzigen Gesichtern und gebrochenen Flügeln, die es gut meinen, aber schlecht handeln. Und manche Schutzengel, die wenigstens ab und an das Schlimmste verhindern.

Explodierender Moloch

Gezeigt wird L.A. hier von seiner anderen, der glitzer- und glamourlosen Seite, dunkel und beängstigend, mitunter aber gleichwohl strahlend und atemberaubend. In den Nachtaufnahmen erinnert dieses ungemein zeitgemäss-lebensechte L.A.-Porträt an jenes aus Michael Manns Husarenstreich «Collateral», bei Tageslicht wiederum an jenes des brillanten Seriendramas «The Shield» – wenn auch Haggis’ Inszenierung ohne die Geschmeidigkeit und Geschlossenheit des Ersteren und den harten Realismus und den hohen Pulsschlag des Letzteren auskommen muss. Es ist dies eine Stadt kurz vor dem Nervenzusammenbruch, ein nie schlafender Moloch, ein Hexenkessel, der vor Leben und Temperament zu explodieren droht. Sicherungen brennen durch, Nerven liegen blank, Spannungen entladen sich, Wut schäumt über. Stets am Abzug ist der Finger, die nächste Beleidigung schon auf der Zunge, Fäuste sind geballt, Augen funkeln angriffslustig. Eine Koreanerin beschimpft eine Puertoricanerin, ein weisser Streifenpolizist schikaniert ein schwarzes Paar, ein iranischer Krämer will einem mexikanischen Schlosser an den Kragen, ein schwarzer Autoknacker vermutet hinter allem eine rassistische Verschwörung, ein weisser Staatsanwalt will aus Publicity-strategischen Gründen einen weissen Undercover-Cop als Rassisten an den Pranger stellen. Über alltägliche Konflikte und politische Ränkespiele, grosse und kleine Ungerechtigkeiten, persönliche Katastrophen und soziale Missstände wird in «Crash» verhandelt. Im rührenden Vater-Tochter-Dialog, im geschwätzigen Monolog, im hitzigen Wortgefecht, im blutigen Kampf. In ruhigen, in intimen, in lärmenden, in packenden Szenen.

Düsterer Schlussakkord

Die Angst vor dem grossen Knall ist in «Crash» immerzu gegenwärtig, eine Ahnung von Unheil schwingt in jeder Millisekunde mit; und wenn es scheint, als habe sich doch noch einmal alles zum Guten gewendet, als kämen alle Beteiligten diesmal noch mit einem blauen Auge davon, kommt es zu jenem Crash, der den Ausgangspunkt des in der Retrospektive erzählten Films bildet. Indem er ausgerechnet die einzige von Resignation und rassistischen Ressentiments scheinbar freie Figur zum Täter macht, setzt Haggis hier einen düsteren, aber logischen Schlussakkord; mit dem finalen Schock kriegt sein an einem einzigen Tag spielendes Gesellschaftsstück, so manipulativ und klischeebeladen es teils selbst auch sein mag, dann auch gerade noch die Kurve und verhindert so den eigenen Crash – drohten doch am Ende die zahlreichen Hoffnungsschimmer das zuvor von verlorenem Vertrauen und ungelösten Problemen geprägte Gesamtbild gar arg zu verfälschen. Dass Haggis im letzten Moment die Balance wiederherzustellen versteht, ist umso erfreulicher, als sein Film dank intelligenter Schreibe, überzeugenden Spiels und der in seiner Ruhe und Eleganz an den vormaligen Skript-Verwerter Eastwood gemahnenden Bilder mehr als nur einmal den Hauch von grossem Kino à la Altman und Anderson verströmt.