Aus der Tiefe des amerikanischen (T)raums

In seinem topbesetzten und bestechend fotografierten Drama «Don’t Come Knocking» legt Regielegende Wim Wenders seine akademische Nüchternheit ab und findet so zu alter Form zurück.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es sind gute Zeiten, die Regiealtmeister Wim Wenders derzeit erleben darf. Nicht ganz so herrliche wie zu seiner Hochphase in den Siebzigern und Achtzigern vielleicht, aber bessere als auch schon. So erntete sein Wettbewerbsbeitrag in Cannes – wo ihn der cinephile Franzose ja ohnehin ganz gerne hat – minutenlangen Applaus und freundliches Nicken der kritischen Köpfe. In Locarno setzte es dann knapp zwei Monate später einen schicken Ehrenleoparden fürs Lebenswerk, und zu seinem 60. Geburtstag, den er am 14. August feierte, gab es gleich nochmals allenthalben warme Worte für das etwas angerostete intellektuelle Aushängeschild deutschen Kinoschaffens – nach all den unterkühlten Reaktionen, die seine letzten (Spiel-)Filme mit Recht provozierten, gewiss Balsam für die geschundene Künstlerseele.

Einsamer Cowboy

Viel vermeintlich Intelligentes, aber nichts wirklich Gescheites hatte Wenders in diesem und im letzten Jahrzehnt gedreht und sich damit eine Menge Kredit verspielt. Was hat man doch zuletzt gelitten mit dem mittlerweile so offensichtlich verhinderten Genie, als man sich durch die Nicht-Geschichten sagenhaft langfädiger Exkurse wie «The End of Violence» oder «The Million Dollar Hotel» kämpfte! Als nur noch die unvermindert atemberaubenden Bildkompositionen von jener Könnerschaft zeugten, die Wenders einst Gesamtkunstwerke wie «Paris, Texas» (1984) oder «Der Himmel über Berlin» (1987) schaffen liess. Als man zusehen musste, wie der einfach nicht aus seinem Formtief findende Kopfmensch ein zappendusteres Tal durchschritt. Doch just nun, da ihn die ultimative Künstlerbestrafung zu ereilen drohte und man allmählich resigniert und mit geplatztem Kragen anfing, gegenüber seinem Schaffen indifferent zu werden, hat Wenders seine Hornbrille geputzt und sich wieder einen klareren Durchblick verschafft. Nachdem er im Vorjahr noch einen kaum beachteten Streifen namens «Land of Plenty» heruntergekurbelt hat, klopft jetzt sein bestes Werk seit fast 20 Jahren an die Kinotür. «Don’t Come Knocking» heisst dieses, und es markiert nach «Paris, Texas» Wenders’ zweite Zusammenarbeit mit dem – hier auch in der Hauptrolle zu bewundernden – Autor/Schauspieler Sam Shepard. In dem bekannte und beliebte Wenders-Themen wie Familie und Identität aufgreifenden Drama spielt Shepard den in die Jahre und zusehends in die Boulevard-Schlagzeilen gekommenen Westernhelden Howard, der vom Set seines neusten Films ausbüxt und uns in der Ouvertüre aus der Tiefe des amerikanischen (T)raums entgegenreitet. Es ist dies der Beginn eines Selbstfindungstrips, der diesen wort- und gefühlskargen Gary-Cooper-Verschnitt vom Arches National Park in Utah über einen Zwischenstopp bei seiner Mutter (Eva Marie Saint) in einer Schmalspur-Spielerstadt in Nevada schliesslich zu einer verflossenen Liebe (Jessica Lange) und zwei unehelichen Kindern (Sarah Polley und Gabriel Mann) nach Butte, Montana, führt. Verfolgt von einem im Auftrag der Filmproduktionsfirma ermittelnden Versicherungsagenten (hölzern: Tim Roth), lernt der an einer Identitätskrise laborierende einsame Cowboy dabei jene Lektion, die der aufmerksame Janis-Joplin-Zuhörer schon längst gelernt hat: dass Freiheit nur ein anderes Wort für jenen Zustand ist, wenn nichts mehr da ist, das man verlieren könnte.

Bildgewaltig fotografiert

Mit gewohnt perfekter musikalischer Untermalung und einer geradezu bestechenden, sich abermals überdeutlich an den Maler Edward Hopper anlehnenden Fotografie dokumentiert Wenders den Weg seines stets exponiert und isoliert in die mythische Landschaft platzierten Antihelden zu sich selbst. Bisweilen ins schwelgerisch Wehmütige verfallend, aber ohne hadernd mit dem Zeigefinger in der Luft herumzufuchteln und der unlieb gewordenen akademischen Nüchternheit über dem Stand der Dinge zu brüten, zaubert er dabei eine wuchtige Gegenüberstellung des neuen mit dem alten Amerika auf die Leinwand. Ausschneiden, einrahmen und neben die Hopper-Poster aufhängen möchte man jedes einzelne seiner Bilder, unter deren beinahe schon meditativer Kraft denn letztlich auch die Schwächen des Films begraben werden: das Zaudern bei der Plot-Entfaltung, die zu grosse emotionale Distanz der Regie gegenüber dem Protagonisten, das erfolglos um Skurrilität bemühte launige Scherzen, das Wenders’ Stärke nun wirklich nicht ist. Es scheint, als sei die Leidenschaft zu Wenders zurückgekehrt; und deshalb ist am Ende auch etwas Wunderbares passiert: Man ist endlich wieder gespannt auf seinen nächsten Film.