von Sandro Danilo Spadini
Die Bühne ist wieder bereitet, die Kalklinien wurden frisch gezogen, die spärlichen Requisiten sind aufgestellt: Vorhang auf für den zweiten Teil der historisch-interpretatorischen
Amerika-Trilogie des Regierevoluzzers Lars von Trier. Was im Meisterwerk «Dogville» vor rund zwei Jahren begann, findet nun in «Manderlay» seine Fortsetzung: ein Frontalangriff auf das US-amerikanische Selbstverständnis, als hochexplosive
Mischung aus moralischem Lehrstück und schwarzhumoriger Parabel lanciert von einem streitbaren Mann, der dieses Land zeitlebens nicht betreten hat, formal gewagt und gewöhnungsbedürftig,
minimalistisch bis zur Verleugnung des Mediums Film. Unzählige Preise und den Vorwurf des offenen Antiamerikanismus hat «Dogville» dem stets auf Innovation und Reformation, Provokation und
Konfrontation bedachten dänischen Dogmatiker eingebracht; und nun legt er noch eine Schippe drauf: «Manderlay» ist in seiner Amerika-Kritik harscher und expliziter als der Vorgänger – der allzu
dominant im Vordergrund stehende Stilbruch, dieses Verweigern nahezu jeglicher filmischer «Sprache», zeitigt aufgrund des verwirkten Überraschungsmoments jedoch bald erste Abnutzungserscheinungen
und stellt den Zuschauer abermals auf die Bewährungs- und Geduldsprobe.
Still stehende Zeit
Angesiedelt im Jahre 1933, knüpft das erneut in acht Kapiteln erzählte und ironisch-allwissend aus dem Off kommentierte Filmtheater nahtlos an den Vorgänger an und geht dabei sogleich in medias
res: Nach dem Desaster von Dogville verschlägt es Grace (statt von Nicole Kidman nunmehr von der ungleich limitierteren Bryce Dallas Howard verkörpert) zusammen mit der Entourage ihres
Gangster-Vaters (Willem Dafoe für James Caan) auf eine gottverlassene Baumwollplantage namens Manderlay nach Alabama. Der Zahn der Zeit und Zivilisation hat hier noch immer nicht an der
rassistischen und menschenverachtenden Einstellung genagt: Unter der Regentschaft der gerade ihren letzten Atemzug machenden Matriarchin Mam (Lauren Bacall) wird in Manderlay auch 70 Jahre nach
dem Ende des Bürgerkriegs und der Befreiung der Schwarzen Sklaverei betrieben. Angewidert von dieser Rückständigkeit, entschliesst sich die idealistische Grace gegen den Rat ihres pragmatischen
Vaters, für Recht und Ordnung zu sorgen und mit einer Hand voll loyaler Gauner-Gehilfen Freiheit und Demokratie nach Manderlay zu bringen. Nach anfänglichem Widerstand schaffen es die von
niemandem gerufenen Befreier und Besetzer tatsächlich, erste demokratische Strukturen zu errichten und die Plantage in einen selbst verwalteten, eigenverantwortlichen «Staat» überzuführen.
Derweil entflammt in Grace erotisches Verlangen nach dem stolzen und exotischen Timothy (Isaach De Bankolé), der wie alle Schwarzen von Manderlay als Stereotyp gezeichnet und als solcher auch in
«Mams Gesetz» – dem verfassungsähnlich und bewusstseinsbestimmend wirkenden Orts-Handbuch – kategorisiert ist. Von Trier wäre jedoch nicht der, der er ist, wenn er nun, da das Feld bestellt ist,
seiner Geschichte nicht noch eine dürrenmattsche, die schlimmstmögliche Wendung geben würde. Am Ende steht die Sklaverei als kleineres von zwei Übeln da, zumal gemäss dem altersweisen Wilhelm
(Danny Glover) «Amerika vor 70 Jahren nicht bereit war, uns Schwarze zu akzeptieren, und es auch in 100 Jahren nicht sein wird».
Achtung Kunst!
Bis es zu dieser Moral der Geschicht kommt, ist freilich reichlich Sitzleder gefragt. Zwischendurch ist «Manderlay» nämlich in etwa so zäh, wie wenn man Jean-Luc Godard und Ingmar Bergman dabei
zuschaut, wie sie beim Warten auf Godot über Kafka diskutieren. Kunst mit dreifachem Ausrufezeichen also, aber alles andere als süffig. Auf Trab halten die Handlung indes die bis zum Irak-Krieg
reichenden Tiraden gegen die US-Politik, deren Gültigkeitsanspruch von Trier weder mit dem klug eingestreuten Humor noch mit der bewusst unverhüllten Inszeniertheit des Ganzen aufzugeben gedenkt;
seine Position als Kommentator aus der Distanz, das bisweilen als arrogant empfundene Beobachten (und Urteilen) von aussen, festigt er gar noch, indem er, wiederum mit dem Briten John Hurt, einen
Nichtamerikaner als Erzähler einsetzt. Doch so hintersinnig die Abrechnung mit den USA und der Kampf zwischen Idealismus und Pragmatismus auch geschildert sein mögen: Das Konstrukt kracht unter
dem allmählich nicht mehr spannenden Bruch mit den Sehgewohnheiten letztlich zusammen. Ob «Washington», der derzeit auf Eis liegende Abschluss der Trilogie, im gleichen Look daherkommen wird,
bleibt abzuwarten. Richtig revolutionär wäre es freilich, wenn von Trier zur Abwechslung einen ganz traditionellen Film drehen würde.