Für eine Tasche voll Pfund

Mit dem modern-märchenhaften Familienfilm «Millions» hat der englische Starregisseur Danny Boyle («Trainspotting») fantasievolles, aufrichtiges und magisches Kino geschaffen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein WG-Krimi («Shallow Grave»), ein Drogendrama («Trainspotting»), eine Liebeskomödie («A Life Less Ordinary»), ein Abenteuerthriller («The Beach») und ein Zombiefilm («28 Days Later») konstituierten vor dem neusten Streich das Kino-Œuvre des Regisseurs Danny Boyle. Studenten, Junkies, Romantiker, Backpacker, Untote oder – wie in seiner Fernseharbeit «Vacuuming Completely Nude in Paradise» – ein völlig übergeschnappter Staubsaugervertreter waren die (Anti-)Helden seiner Filme. Keine Frage: Eine ganz schön reichhaltige Genre-Palette mit einem ziemlich heterogenen Trüppchen ist das, was uns der 48-Jährige aus Manchester bislang präsentiert hat. Was man diesem Herrn bei allen audiovisuellen Übereinstimmungen in seinem bisherigen Tun und trotz des erkennbaren Bemühens um eine unverwechselbare Signatur also bestimmt nicht absprechen kann, ist Vielseitigkeit. Und was man ihm angesichts seiner inszenatorischen wie inhaltlichen Stilsicherheit tunlichst im selben Zuge attestieren sollte, ist Klasse. Hat es für Ersteres oder aber doch für Letzteres wirklich noch eines Beweises bedurft, so erbringt Boyle diesen nun mit seinem neusten Werk, das da «Millions» heisst und ein fantasievoller Familienfilm ist, dessen Protagonisten ein sieben- und ein neunjähriger Junge sind.

Komisch und lebensbejahend

Geschrieben hat dieses in seiner formalen Umsetzung sehr moderne und in seiner inhaltlichen Ausgestaltung doch zeitlose Märchen mit Frank Cottrell Boyce ein weiterer Frontmann des neuen britischen Kinos, der vor allem durch seine überaus fruchtbare Kollaboration mit Michael Winterbottom («Welcome to Sarajewo»), dem anderen Regiewunderkind von der Insel, zu wohlverdientem Ruhm gekommen ist. Dass sich Boyce und Boyle nun erstmals zusammengetan haben, weckt naturgemäss gewisse Erwartungen, denen die beiden mit der geernteten Frucht ihrer gemeinsamen Anstrengungen – süss, aber nicht zuckrig, gehaltvoll, aber bekömmlich – freilich vollauf gerecht werden. Bisweilen umwerfend komisch ist «Millions» und hoffnungslos romantisch obendrein. Zudem unbeirrt lebensbejahend und geradezu naiv. Ja geradeso naiv wie der siebenjährige Damian, der mit seinem zwei Jahre älteren, ungleich pragmatischer die Dinge des Lebens analysierenden Bruder Anthony zu unverhofftem Reichtum gelangt, als er eine Tasche gefüllt mit einer Viertelmillion Pfund findet. Damian ist ein besonderes Kind, eines mit einem Herzen von der Grösse Grossbritanniens. Anders als seine Schulkameraden verehrt er nicht Fussballgrössen wie van Niestelrooy, Keane oder Fowler, sondern historische Figuren wie Franz von Assisi oder die Märtyrer von Uganda – und natürlich seine von ihm in den Stand einer Heiligen erhobene verstorbene Mutter; diese ihm regelmässig erscheinenden Herrschaften sind denn auch seine den Nächsten liebenden Ratgeber, was den Verwendungszweck des pfundigen Vermögens angeht. Beim Unterfangen, das Geld unter den Armen und Bedürftigen zu verteilen, stellen sich Damian indes nicht nur die des Diebesguts verlustig gegangenen Halunken, sondern auch die Behörden in den Weg – wird doch in Kürze im Vereinigten Königreich der Euro eingeführt und damit das quasi vom Himmel gefallene Karitativkapital wertlos.

Boyles reifster Film

Eine kerngesunde Mischung aus Hipness und Nüchternheit, aus Verspieltheit und Schnörkellosigkeit, aus Fiktion und Realismus hat Boyle für seinen bis dato reifsten Film gefunden. Ist die Grundanordnung von «Millions» – die Tasche voller Geld – noch dieselbe wie jene seines Kinodebüts «Shallow Grave», könnten die Wege, die diese beiden Filme alsdann gehen, nicht unterschiedlicher sein. Kein blutiges Hauen und Stechen, kein cooler Zynismus, keine waghalsigen Schnitte – nur Boyles exquisiter Musikgeschmack und natürlich seine Meisterschaft sind geblieben. Nichts zu suchen hat hier auch diese klebrige Heuchlerei und Verlogenheit, die man von vergleichbaren US-Produktionen her kennt, aus denen ja auch  diese furchtbar altklugen Balgen, die einem den letzten Nerv zu rauben vermögen, wohlbekannt sind. Erfreulicherweise haben Boyle und Boyce aber auch mit solcherlei nichts am Hut; ihre beiden kindlichen Helden sind vielmehr so herzig und herzlich, dass man sich von ihnen liebend gerne aufzeigen lassen möchte, wie man die Welt zu einem besseren Ort macht. Danny Boyle, für den als Nächstes die Sciencefiction-Produktion «Sunshine» ansteht, hat das Seine dazu derweil schon beigetragen. Denn «Millions» ist nicht nur einer der besten, sondern fraglos der schönste Film dieses Jahres.