Kurz vor der Sonne

Die Nachwuchsmiminnen Nathalie Press und Emily Blunt helfen dem zwar ansprechenden, aber etwas abgedroschenen Teenagerdrama «My Summer of Love» über so manchen zähen Moment hinweg.

 

von Sandro Danilo Spadini

Einen Sommer der Liebe verspricht der neue Film des polnischstämmigen UK-Regisseurs Pawel Pawlikowski also diesem rothaarigen Mädchen, das wir in der Ouvertüre gelangweilt und selbstvergessen im Gras liegen sehen. Mona heisst die junge Frau, wie wir sogleich erfahren; 16-jährig ist sie und zornig, zornig und einsam, einfachen Verhältnissen entstammend, der verheiratete Geliebte ein Schweinehund, der sie nach einer letzten pragmatisch-mechanischen Nummer eiskalt abserviert, Mutter tot, Vater weg, der Bruder ein frömmelnder Ex-Krimineller, der dem Wort des Herrn in diesem verschlafenen Yorkshire-Nest Gehör verschaffen will. Und dann betritt Tamsin die Provinzbühne, die verheissene Sommerliebe; kultiviert, distinguiert und privilegiert, versnobt, verwöhnt und vernachlässigt vom sich mit seiner Sekretärin vergnügenden Vater und der abwesenden Mutter. Tamsin braucht Mona – als Zeugin ihrer Inszenierung, ihrer Selbstdarstellung, als Zeitvertreib womöglich nur, für ihr Selbstwertgefühl vielleicht noch. Mona indes braucht Tamsin zum Leben, zum Überleben, zum Überstehen der fürchterlichen Fadesse, der sie anders nicht entkommen kann. Einen Sommer lang geben sich diese so Ungleichen mit bittersüsser «Gott ist tot»-Attitüde ihren adoleszenten Bedürfnissen hin, machen Mädchensachen, Lausbubenstreiche und experimentieren. Mit Liebe. Mit Sex. Mit Drogen. Mit allerlei halt. Doch der Sommer wird enden, und kurz vor der Sonne werden die Zweifel, die Lügen, die Realität die beiden einholen.

Widerborstige Geschlossenheit

Obwohl Pawlikowski hier einen ganzen Jutesack voller Klischees und Stereotypen mitgebracht hat, sind sie auf der Insel mächtig stolz auf diesen Anspruch mit Allgemeinverträglichkeit zu kombinieren versuchenden Film. Bei den BAFTA-Awards, den britischen Oscars, haben sie «My Summer of Love» ebenso zum Nonplusultra erklärt wie beim Filmfestival in Edinburgh, und die im Dienste Ihrer Majestät den Bleistift spitzenden Kritiker – ansonsten eher reservierte Zeitgenossen – schnalzen mit der Zunge, klopfen sich auf die Schenkel und schlagen einen Salto nach dem anderen. Mit übersteigertem Patriotismus und rosaroter Hornbrille hat dies indes wenig zu tun. Denn auch in den USA lässt sich kaum ein Sachverständiger finden, der nicht schon seine Ode verfasst und seine Lobeshymne auf dieses Teenagerdrama gesungen hätte. Folglich muss an dieser schon hundertfach so ähnlich und fast identisch in Peter Jacksons «Heavenly Creatures» erzählten Geschichte irgendwas dran sein. Doch was nur? Sind es die beiden erfrischenden Nachwuchskräfte Nathalie Press (Mona) und Emily Blunt (Tamsin), die als omnipräsente Heldinnen Herz und Seele des Films sind? Ist es die Zärtlichkeit, mit der die von der Thematik der lesbischen Liebe völlig losgelösten amourösen und erotischen Aufwallungen geschildert werden? Die Intensität? Die Aufrichtigkeit? Die Zurückhaltung? Ja, all das. Und die inszenatorische, dramaturgische und darstellerische Widerborstigkeit, dieser geschlossene Naturalismus, der einen von allerhand Improvisation akkurat löchrig gewordenen Schleier über das Ganze legt. 

Betäubende Gleichmässigkeit

Freilich ist bei alledem schon der eine oder andere recht zähe Moment zu überstehen. Ausser in der vergleichsweise turbulenten Schlussphase weist «My Summer of Love» kaum erwähnenswerte Hüpfer auf der flachen Spannungskurve auf. Vielmehr plätschert die Handlung dahin, mit betäubender Gleichmässigkeit; vereinzelt unterbrechen die sphärisch-hypnotischen Klänge der britischen Combo Goldfrapp das Vogelgezwitscher auf der Tonspur und geben dem Gezeigten – ungerechtfertigterweise – einen Hauch von Mysteriösem und Verwegenem. Sonnendurchflutete Bilder bestimmen das Geschehen, das bisweilen an der Oberfläche kratzt, andeutet, um dann wieder auszusparen, und so letztlich kaum einmal in die Tiefe geht. Derweil lässt Pawlikowski seine Protagonistinnen auf der Rasierklinge tanzen und am Plattitüden-Abgrund schlendern, zieht aber die Kamera weg oder verschleppt das Tempo, wenn es brenzlig oder dreist wird. Zwar erzeugt er so nicht ganz jene emotionale Wucht, mit der das ähnlich gelagerte australische Drama «Somersault» einen überwältigt hat; aller Ehren wert ist aber, dass hier eigentlich Abgedroschenes auf gleichwohl höchst ansprechende Weise erzählt wird.