von Sandro Danilo Spadini
Einen richtigen Charmebolzen hat sich die patente und kompetente Hotelangestellte Lisa (Rachel McAdams) während des stundenlangen Wartens auf den verspäteten Flug von Dallas nach Miami mit diesem
Jackson Rippner (Cillian Murphy) da angelacht. Scheinbar wenigstens. Denn was so prickelnd mit wohldosiertem Flirten beim Drink in der Flughafenlobby beginnt, entwickelt sich schon kurz nach dem
Besteigen des endlich startklaren Nachtfliegers zum veritablen Albtraum. Kaum abgehoben, legt Herr Rippner nämlich seine gezinkten Karten auf den Aufklapptisch, und der noch in den Ohren
klingende Kommentar einer sich im Terminalchaos abplagenden Passagierin wird für Lisa zur sich schmerzhaft erfüllenden Prophezeiung: «Reisen ist heutzutage Krieg.» Wie ihr der nunmehrige
Ex-Charmeur mit sanfter Stimme eröffnet, ist sie die Schlüsselfigur in dem von ihm mitorchestrierten Komplott zur Ermordung eines just in dieser Nacht bei ihrem Arbeitgeber in Miami eincheckenden
hohen Regierungsbeamten. Lisas Job ist es nun, aus luftigen Höhen per Telefon für die Verlegung des staatsmächtigen Trosses in eine neue Suite zu sorgen und ihn damit ins Visier der Attentäter zu
rücken. Rippners Druckmittel: Vor dem Haus ihres Vaters (Brian Cox) lauert ein blutrünstiger Scherge, der bei entsprechender Anweisung vielleicht mit der Schulter, nicht aber nicht mit der Wimper
zucken wird, bevor er Lisas Erzeuger umlegt.
Packend und fesselnd
So verzwickt sich die Situation für die Heldin von Wes Cravens Thriller «Red Eye» auch präsentieren mag, so simpel wäre doch eigentlich der Ausweg aus ihrem Dilemma: Lisa macht den Anruf, Rippner den
seinigen, der Regierungsmensch stirbt, der Vater lebt, und Lisa und Rippner können sich nach der ganzen Aufregung noch einen genehmigen und nach der Landung auf Nimmerwiedersehen voneinander
scheiden. Ein flaues Gefühl und etwas Sodbrennen vom Flugzeug-Fusel blieben in ihrem Magen wohl zurück, doch niemand könnte ihr ernsthaft Vorwürfe machen. Nun wäre diese Lösung wohl die
logischste, sie ergibt aber natürlich keinen sonderlich knackigen und zudem auch keinen wirklich abendfüllenden Film. Und deshalb hat Craven seine Lisa als eine kreuzbrave und kerzengerade
Patriotin modelliert, die das Leben ihres eigenen Vaters für dasjenige eines ihr praktisch fremden Staatsmanns aufs über eine Stunde lang im Flugzeug und alsdann im Freien betriebene
Katz-und-Maus-Spiel setzt. Die Motivation für ihr Handeln bleibt freilich im Dunkeln, die Debatte darüber wird indes zunehmend müssiger. Zumal es letztlich wurscht ist, warum Lisa das macht, was
sie macht. Schliesslich kümmert sich auch Craven weder einen Feuchten noch einen Klammen, wer hier wem aus welchen Gründen und auf welche Weise nach dem Leben trachtet. Seine volle Konzentration
gilt vielmehr dem Psycho-Duell über den Wolken, und dieses packt und fesselt und elektrisiert dank mörderischem Tempo, schnörkellosem Erzählstil und klaustrophobischem Setting auf jeder einzelnen
Flugmeile. Wie unlängst Joel Schumacher im Telefonzellen-Thriller «Phone Booth» nutzt Horrorspezialist Craven («Scream») jeden Millimeter seines arg begrenzten Spielraums und bringt so das auf
dem Papier fast aussichtslos karg Erscheinende als ausgefeilte Geschichte auf die Leinwand.
Kurz und kompakt
In die Karten spielt diesem handwerklich soliden, visuell prunklosen Nervenkitzler überdies die Unaufdringlichkeit im Spiel der beiden Newcomer Rachel McAdams («The Notebook») und Cillian Murphy
(«Batman Begins»). Wo andere ob all der für ihre Figuren bereitgehaltenen Emotionsturbulenzen drauflosdramatisieren würden, als seien sie in einer Shakespeare-Aufführung, bewahren die mit
strahlender Schönheit und himmelhohen Sympathiewerten auftrumpfende Kanadierin – eine Charismabombe vor dem Herrn! – und der sich in der Schurkenrolle diskret vergnügende Ire beharrlich die
Bodenhaftung. Realistisch schätzt auch Craven die Dinge ein und verzichtet trotz des terroristisch-verschwörerischen Tuns zugunsten unkomplizierter Unterhaltung auf politisch pseudosignifikantes
Geplänkel. Nicht nehmen lässt er es sich aber, im etwas spannungsentladenen Finale den alten Schlitzerfilmer aus sich rauszulassen. Die Alfred-Hitchcock-Gedenktrophäe gibt es dafür und für den
Rest dieses kompakten, in würziger Kürze verpackten Thrillers zwar nicht, für ein Extrakissen und einen Fensterplatz in der Economy-Class reicht es aber allemal.