Verteufeltes Genie und vergötterter Wahnsinniger

Die Doku «Be Here to Love Me» entwirft ein spannendes, stimmungsvolles und nicht immer schmeichelhaftes Porträt der 1997 52-jährig verstorbenen Folk-Legende Townes Van Zandt.

 

von Sandro Danilo Spadini

Townes Van Zandt ist der beste Songwriter auf der ganzen Welt, und ich stell mich mit meinen Cowboystiefeln auf Bob Dylans Couchtisch und wiederhole das.» Grosse Worte sind das, die der selbst ganz passable Liederschreiber Steve Earle da über einen Mann sagt, der zeit seiner 20-jährigen Karriere selbst in den USA nie über den (Kult-)Status des Insidertipps hinauskam. Manch einer wird Earles Laudatio denn auch vorschnell mit einem verständnislosen Schulterzucken quittieren wollen, derweil andere ihm wissend mit einem freundlichen Hutzupfer zustimmen mögen. Letztere Folk-Freunde werden womöglich gar bald in der Überzahl sein, bietet sich doch nun mit der Doku «Be Here to Love Me» die ideale Gelegenheit, sich eines Besseren belehren zu lassen und das von seinen Musikerkollegen verehrte, vom Publikum jedoch ein wenig verkannte Genie endlich kennen zu lernen.

Rau und poetisch

Gefertigt wurde das Porträt des am Neujahrstag 1997 nur 52-jährig einem Herzinfarkt erlegenen Texaners mit Margaret Brown von einer Frau, die sich als Tochter des Country-Songwriters Milton Brown in derlei Belangen auskennen wird. Im Sinne der Sache wirkt sich dabei aus, dass sich Brown resistent gegen Zahlenerotik zeigt und sich nicht darum kümmert, wie viele Alben ihr Forschungssubjekt veröffentlicht hat (über 20), wie viele Chartstürmer er verzeichnen konnte (null) oder wie viele Liegestützen er schaffte (unbekannt). Ebenso erbaulich ist es, dass sie Earle und den anderen Lobeshymnen-Sängern von Guy Clark bis Kris Kristofferson nicht auch noch nach dem Mund reden muss; die Überzeugungsarbeit lässt sie vielmehr Townes selbst leisten, indem sie seine minimalistisch arrangierten Songs auf wohl dosierte Weise und an gut platzierter Stelle an- und bisweilen auch ausspielen lässt. Und wenn diese rau-poetische Musik dann erklingt, wird die eine oder der andere sehr wohl von einem Déjà-entendu-Erlebnis eingeholt werden. Dies freilich, ohne notwendigerweise Townes’ brüchige Stimme wiederzuerkennen, waren es doch oftmals andere, die mit seinen Liedern die grossen Erfolge feierten. So landeten etwa Willie Nelson und Merle Haggard mit «Pancho & Lefty» einen Nummer-eins-Hit in den Country-Charts, und Emmylou Harris war es letztlich, die im Duett mit Don Williams «If I Needed You», das Townes im Schlaf geschrieben haben will, in die Unsterblichkeit erhob.

Schön und schwermütig

Wie es sich für ein fundiertes Künstlerporträt gehört, ist «Be Here to Love Me» aber nicht bloss eine Werkschau mit unterschiedlichsten Archivaufnahmen von der Bühne oder aus dem privaten Kreis. Vorgestellt wird in vergilbten Familienvideos und in Gesprächen mit Verwandten und Weggefährten natürlich auch der Mensch hinter dem Musiker – und dies ist die dunkle Seite des Townes Van Zandt. Schon als Jugendlicher wurde er für manisch-depressiv und suizidgefährdet befunden. Als Folge davon wurde er einer desaströsen Insulinschocktherapie unterzogen, die ihn praktisch sämtlicher Kindheitserinnerungen beraubte. Bald schon gab er sich Suff und Drogen hin. Dreimal war er verheiratet. Drei Kinder zeugte er, von denen wenigstens der älteste, inzwischen selbst musizierende Sohn JT nicht nur Gutes über seinen Dad zu erzählen hat. Das vergötterte Genie war halt auch ein von nicht wenigen verteufelter Wahnsinniger, der an guten Tagen zwar immer für einen launigen Scherz gut war, der dem Tod aber nicht nur in seinen Gänsehaut garantierenden Liedern auf fast gespenstische Art immer irgendwie nahe war. Genau diese Townes’ Songs immanente Mischung aus Schönheit und Schwermut ist es schliesslich, die Browns ideenreicher Film virtuos einzufangen versteht – ein Film, der mit seinen stimmungsvollen, durch die verschmutzte Windschutzscheibe des fahrenden Autos gefilmten Bildern zugleich ein grossartiges Porträt der amerikanischen Südstaaten ist. Wie der zur spröden Sentenz neigende Townes auf die Laudatio seines Kumpels reagierte, ist derweil andernorts nachzulesen: «Bob Dylan würde Steve Earle nie in die Nähe seines Couchtischs lassen.»