Der Duft der Frauen

Tom Tykwers wuchtige Verfilmung von Patrick Süskinds Beststeller «Das Parfum» ist auch dank eines überragenden Hauptdarsteller über weiteste Strecken gelungen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dass die seit einer gefühlten Ewigkeit mit Spannung erwartete Verfilmung des in 45 Sprachen übersetzten und 15 Millionen Mal verkauften Weltbestsellers «Das Parfum» erst jetzt, rund 20 Jahre nach Erscheinen des Buches, in die Kinos kommt, hat nebst einigen PR-technischen Nachteilen natürlich auch so seine Vorteile. Der ganz grosse Hype um Patrick Süskinds Meister- und Lebenswerk mag mittlerweile wohl merklich abgeflaut sein, wodurch sich das Budget der zuständigen Öffentlichkeitsarbeiter um einen Euro fuffzig erhöht haben wird; anders als etwa beim ziemlich zügig filmisch umgesetzten «Da Vinci Code» ein wenig verblasst ist im Falle der im 18. Jahrhundert spielenden Geschichte um den in Serie mordenden Parfumeur Jean-Baptiste Grenouille indes auch die Erinnerung der Leserschaft, was Regie und Drehbuch eine buchstabengetreue Bearbeitung erspart und ihnen stattdessen gewisse Freiheiten erlaubt hat. Glücklicherweise kamen in Bernd Eichinger, der hier als Produzent wie als Drehbuchautor amtet, und dem ebenfalls am Skript werkelnden Regisseur Tom Tykwer («Lola rennt») zwei sich für die «Parfum»-Adaption ideal ergänzende Filmschaffende zusammen, die sich diese Freiheiten – kommerzialisierende einerseits und künstlerische andererseits – auch selbstbewusst herausgenommen haben: hier der streng Hollywood-gläubige Eichinger, der es gewohnt ist, mit der XL-Kelle anzurühren und alsdann XXL-Profite abzuschröpfen; dort der feingeistige Tykwer, dem durchaus zugetraut werden darf, bei allem Respekt vor der Vorlage auch eigene Akzente zu setzen und persönliche Visionen zu verwirklichen. Und wenn Kunst und Kommerz einen derart viel versprechenden Bund eingehen, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass Süskinds eigentlich als nicht allzu filmtauglich geltendem Roman dank spektakulärer Schauwerte, erzählerischer Finessen und des einen oder anderen Extra-Schmankerls auch ewiges Kinoleben eingehaucht wird.

Kardinalproblem gelöst

In der Tat ist die Kulisse imposant, die Inszenierung wuchtig, ist das Auge fast konstant einer gleichmässig-gezügelten, selten überfordernden und überbordenden Flut von bisweilen indes etwas zu zahmen und züchtigen Bildern ausgesetzt. Und auch auf narrativer Ebene weiss Tykwers und Eichingers «Parfum»-Version über weiteste Strecken zu überzeugen: Ohne falsche Gehetztheit wird in der ersten Hälfte unter Mithilfe eines viel beschäftigten Erzählers aus dem Off (englisch: John Hurt, deutsch: Otto Sanders) die Hauptfigur eingeführt, werden dessen traumatische Kindheit im Waisenhaus und die Jugendzeit in Knechtschaft ebenso plastisch nachgezeichnet, wie die genialische Veranlagung und die soziale Störung nach und nach sichtbar gemacht werden. Entsprechend ist man hinreichend vorbereitet und «sensibilisiert», wenn die Katastrophe ihren Lauf nimmt, wenn Grenouille auf der ihn in die Parfümmetropole Grasse führenden Suche nach dem gleichsam göttlichen Geruch zum Mädchen mordenden Ungeheuer wird. Was schliesslich das gewisse Extra angeht, lässt sich Tykwer auch nicht lange bitten: Bereits in der Schilderung der Ekel erregenden Umstände von Grenouilles Geburt auf dem Pariser Fischmarkt inmitten von Abfällen und Fäkalien zieht er sämtliche Register und verzichtet wie im Folgenden noch oft (wenn auch nicht immer) darauf, die Ecken und Kanten der Vorlage abzuschleifen. Überhaupt ist es bewundernswert, wie er das Kardinalproblem der Verfilmung löst und immer wieder neue Wege findet, Grenouilles olfaktorische Fähigkeiten und Erfahrungen zu visualisieren.

Überragender Nobody

Alle diese von Eichinger und FC-Basel-Mäzenin Gigi Oeri finanzierten Errungenschaften Tykwers wären freilich kaum etwas wert, wenn nicht auch bei der Besetzung der Hauptfigur ein glückliches Händchen bewiesen worden wäre. Dass die Wahl hier mit dem 25-jährigen Engländer Ben Whishaw auf einen nahezu gänzlich unbekannten und unerfahrenen Darsteller fiel, muss als grosses Risiko und im Nachhinein als noch grösseres Glück gewertet werden. Mit seinem ohne grosse Gesten auskommenden, dabei aber keineswegs stoischen Spiel trifft Whishaw, der zuletzt in der wenig erbaulichen Brian-Jones-Biografie «Stoned» als Keith Richards zu sehen war, Süskinds Beschreibung von Grenouilles naiver Schüchternheit und diabolischer Besessenheit auf den Zwischenton genau. Wozu dieser Nobody fähig ist, zeigt sich denn auch gerade in den Szenen mit dem ebenfalls topaufgelegten Weltstar Dustin Hoffman (in der Rolle von Grenouilles Lehrmeister Baldini). Derweil ein gestandener Akteur wie Alan Rickman (als um das Leben seiner Tochter fürchtender Kaufmann Richis) enttäuscht und die – vornehmlich deutschen – Nebendarstellerinnen (u.a. Jessica Schwarz und Corinna Harfouch) trotz vollen Körpereinsatzes schmückendes Beiwerk bleiben, kommt Whishaw in einer der schwersten Rollen der jüngeren Kinozeit bravourös seinem Auftrag nach, die Seele und die treibende Kraft dieser trotz Längen und Redundanzen insgesamt sehr erfreulichen internationalen Grossproduktion zu sein.