von Sandro Danilo Spadini
Die Protagonisten des australischen Dramas «Little
Fish» sind ungeachtet ihrer verstörenden Vergangenheit und ihres fatalen Tuns Leute, die wir wohl aus dem richtigen Leben, kaum jedoch aus dem Kino kennen. Es sind dies Menschen, die gelernt
haben, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu akzeptieren; tonnenschwer belastete Aussenseiter, die nach Jahren teils selbstverschuldeter Traumata erwacht sind und gegen äussere wie innere
Widerstände verzweifelt versuchen, sich über Wasser zu halten oder drunter so lange wie möglich den Atem anzuhalten. Und manchmal, wenn sie nach den tagtäglichen Kämpfen am Ende ihrer Kräfte
sind, lassen sie sich auch einfach nur treiben – auf die Gefahr hin, geradewegs in die Katastrophe hineinzudriften, zurück in den Sumpf aus Drogen und Lügen, aus dem sie sich so mühevoll
herausgezogen hatten.
Rückkehr der Geister
Behutsam eingebettet in die Normalität einer Vorstadt im Südwesten Sydneys, erzählt Regisseur Rowan Woods nach exzessiver Recherche vor Ort profund von der alltäglichen Routine mehr oder minder
sozialisierter, rekonvaleszenter oder rehabilitierter Junkies und Dealer. Angelpunkt des Geschehens ist dabei die Geschichte der 32-jährigen Tracy (Cate Blanchett), die wir in einem interessanten
und kinotechnisch recht unüblichen Lebensabschnitt antreffen. Tracy hat das Schlimmste bereits vor einer Weile überstanden. Als Managerin eines Videoshops steht sie mittlerweile auf eigenen
Beinen, wenngleich sie noch bei ihrer vor endlosen Sorgen abgekämpften und verbitterten Mutter (Noni Hazlehurst) lebt. Sie ist nicht reich, nicht hip, nicht cool, doch sie ist einigermassen
zufrieden. Und sie hat wieder angefangen zu träumen – den Traum vom eigenen Geschäft etwa, den sie mit allen Mitteln zu verwirklichen sucht. Etwas schwer tut sie sich freilich noch damit, sich in
der Realität der Erwachsenen zurechtzufinden, ist sie dieser doch in ihren drogenumnachteten Zwanzigern konsequent entflohen. Ihrer Entwicklung etwas hinterherhinkend, ist Tracy noch auf der
Suche nach ihrer Identität und ihrem Platz im Leben. Die Zeichen dafür, dass sie beides finden wird, stehen indes nur so lange gut, bis längst vertrieben geglaubte Geister und Dämonen sich
zurückmelden, die zwar freundlich lächeln, aber nichts Gutes im Sinn haben oder einfach nicht anders können. So etwa der eigentlich Gold im Herzen tragende ehemalige Footballstar Lionel (Hugo
Weaving), ein in Ungnade gefallener Freund der Familie, der Tracy einst mit dem Teufel Heroin bekannt machte. Oder auch ihr Ex-Freund Jonny (Dustin Nguyen), der mit ihrem Bruder Ray (Martin
Henderson) einen riskanten Deal plant, der die lokalen kriminellen Hierarchien erschüttern und den sich im Rückzug befindlichen Drogenbaron (Sam Neill) mit dessen ehrgeizigem Kronprinzen (Joel
Tobeck) verfeinden wird.
Unter die Haut
Was «Little Fish» zu einem grossen kleinen Film macht, ist nebst dem passenden Timing und der audiovisuellen Geschlossenheit die Subtilität bei der Schilderung der Charaktere und deren
Beziehungen untereinander. Mit einem guten Auge für Details, viel Einfühlvermögen und verständnisvollem Mitgefühl zeichnet die sich zuvörderst um ihre stupende Schauspielerführung verdient
machende Regie so ein überaus realistisches und komplexes Bild von nicht weniger als sieben Figuren. Das geschlossen auf höchstem Niveau agierende und prächtig harmonierende Darstellerensemble
vermag derweil dieser tragischen Leidensgenossenschaft ein gleichsam gespenstisches Gefühl von Loyalität, Vertrautheit und dem Teilen einer gemeinsamen Vergangenheit auf den lädierten Leib und in
die versehrte Seele zu spielen. Gerade dank der uneitel natürlichen Darstellung dieser von Leinwandgöttin Blanchett und «Matrix»-Agent Weaving angeführten Ausnahmekönner entsteht schliesslich ein
raues wie stilles, intimes wie präzises Porträt von realen und fassbaren Menschen, deren Schicksal auch ohne das Brimborium sogenannt grossen Gefühlskinos auf fast schmerzhaft intensive Weise
unter die Haut geht.