von Sandro Danilo Spadini
Ein Genie muss er ja wohl sein, dieser Abel Ferrara. Denn nur Genies, übergeschnappte zumal, können solch abgrundtief fade und miese Filme drehen, wie dies der Regisseur des Kulthits «Bad
Lieutenant» (1992) zuletzt getan hat. Und nur einem temporär desorientierten Genie würde man es nach einem Quark wie «The Blackout» (1997), einem Chaos wie «New Rose Hotel» (1998) und einem
Pfusch wie «’R Xmas» (2001) überhaupt erlauben, je wieder seinem Job nachzugehen. Ebendies tut der Italoamerikaner aus der Bronx nach fünfjähriger Auszeit nun. Das ihm beim Comeback zur Verfügung
stehende Budget war indes so knapp, dass seine Wohnung in Rom als Schauplatz wie als Schneideraum herhalten musste und nach 22 Tagen Drehzeit bereits die letzte Klappe fiel. Umso erstaunlicher
also, dass sich mit Juliette Binoche, Forest Whitaker, Matthew Modine und Heather Graham doch einige namhafte Mimen fanden, die mit ihm für das theologisch motivierte Drama «Mary» in einen gleichsam heiligen Bund treten
wollten.
Offene Fragen
Das dürre Budget und die kurze Drehzeit merkt man dem kraft seiner Bilder oder vielleicht doch eher seiner Schwerfälligkeit teils hypnotisch wirkenden Intellektuellenstreifen freilich auch an.
Auf die noch immer übersichtliche Laufzeit von 83 Minuten kommt «Mary» letztlich bloss deswegen, weil mitunter die Kamera einfach laufen gelassen wurde. Das Resultat sind lange, bisweilen
belanglose Dialogpassagen, üppige akademische Ausführungen renommierter Religionswissenschaftler sowie gar grosszügige Ausschnitte aus einem fiktiven Film über die umstrittenen Evangelien von
Maria Magdalena. Dieser «Film im Film» ist gleichzeitig Ausgangs-, End- und irgendwie auch Kernpunkt von «Mary», wiewohl die meiste Zeit der erfolgsorientierte und bald krisengeschüttelte
Fernsehmoderator Theodore (Whitaker) im spärlich ausgeleuchteten Bild zu sehen ist. Theodore ist Gastgeber einer Late Show, die sich unter dem Titel «Jesus, die wahre Geschichte» mehr Unsüffigem
widmet und in der erwähnte Theologen zu manchem Wort kommen. Was diese so zu sagen haben, ist wie der Rest nicht eben leicht verständlich, doch wer den Zugang findet, dürfte dann und wann belohnt
werden. Bedenkenswerte Ansätze liefert «Mary» nämlich sehr wohl, und auch in ästhetischer Hinsicht hat Ferraras Kopfgeburt dank exzellenter Kameraarbeit und der dazu passenden konspirativen Musik
einiges zu bieten. Nicht ganz plausibel wird allerdings, weshalb wir uns überhaupt für das Schicksal dieses Theodore, dieser Ferrara-typisch erlösungsbedürftigen, aber nur schemenhaft skizzierten
Figuren, interessieren sollten; was uns seine Ehekrise mit der schwangeren Frau (Graham) angeht; was der ab und an gestreifte Israel-Palästina-Konflikt mit dem Ganzen zu tun hat; und wie um
Himmels willen die in Jerusalem Sinn suchende, von ihrer Filmfigur Maria Magdalena nicht loskommende Schauspielerin Marie (Binoche) Theodores Wandlung vom Atheisten zum Gläubigen
beeinflusst.
Theologiestudium erwünscht
Nur leidlich anregend ist zudem die um den Regisseur Tony (Modine) aufgebaute Reflexion über das Filmemachen – ein Thema, das Ferrara in «Dangerous Game» (mit Madonna!) und «The Blackout» (mit
Claudia Schiffer!!) schon zweimal ertragslos angegangen ist. Wie bei vielem bleibt es auch hier bei losen Andeutungen und blossen Denkanreizen für den Zuschauer, der dann die meiste Arbeit
alleine machen soll. So kommt man sich bei «Mary» zunehmend vor wie bei einem Konzert, wo der heisere Sänger die Songs grösstenteils vom Publikum singen lässt. Der Text kommt einem dabei freilich
nicht allzu flott über die Lippen. Um diesen von gelegentlichen Temperamentsausbrüchen und meditativen Sequenzen unterbrochenen religiösen Diskurs zu schätzen, braucht es zwar nicht zwingend ein
abgeschlossenes Theologiestudium – aber es hilft. Insgesamt ist das alles doch sehr sperrig – was natürlich ein Euphemismus für stinklangweilig ist. Doch wenigstens lässt der trotz konstanten
Ebenenwechseln erstaunlich stimmige Film endlich mal wieder erahnen, dass Abel Ferrara einst ein grosser Regisseur war.