von Sandro Danilo Spadini
Moshe Weinberg, Yossef Romano, Yossef Gutfreund, David Berger, Mark Slavin, Yacov Springer, Zeev Friedman, Amitzur Shapira, Eliezer Halfin, Kehat Shorr, Andre Spitzer – das sind die Namen der elf
Mitglieder der israelischen Olympiadelegation, die 1972 in München von palästinensischen Terroristen der Gruppe «Schwarzer September» umgebracht wurden. Elf Namen, die längst vergessen sind; elf
weitere Opfer eines Krieges, der bis heute Zehntausende Menschenleben gefordert hat; und elf Gründe für einen beispiellosen Vergeltungsschlag, den der israelische Geheimdienst Mossad im Rahmen
der «Operation Zorn Gottes» orchestriert hat. Diesen arbeitet nun Steven Spielberg in seinem Drama «Munich» filmisch auf. Ohne auf die Attentate gross einzugehen, wendet sich Spielberg nach zehn Minuten des rasend-hektisch
geschnittenen Film- und Archivmaterials Israels quer durch Europa führendem Rachefeldzug zu: Fünf Mossad-Agenten werden mit der geheimen Mission betraut, elf in die Attentate verwickelte, von
europäischen Metropolen aus operierende Palästinenser aufzuspüren und zu eliminieren.
Menschliche Krieger
Kopf der Gruppe ist Ministerpräsidentin Golda Meirs einstiger Bodyguard Avner (Eric Bana), ein liebender Ehemann und werdender Vater, der wie die meisten seiner Mitstreiter (u.a. Neu-Bond Daniel
Craig und Mathieu Kassovitz) mehr aus Pflichtbewusstsein als aus nationalem oder religiösem Fanatismus handelt und wenigstens zu Beginn denn auch mit entsprechendem Skrupel zu Werke geht. Diese
heterogene Schicksalsgemeinschaft entspricht ohnehin so gar nicht dem, was man sich gemeinhin unter Männern mit staatlich zertifizierter Lizenz zum Töten vorstellt: Am Abzug zaudern etwa ein
Antiquitätenhändler, ein Spielzeughersteller, ein distinguierter Dokumentenfälscher – alles durchaus umgängliche Zeitgenossen. Überhaupt wird in «Munich» die hässliche Fratze des Terrors nur
selten sichtbar. So werden auch die gejagten Palästinenser nicht als gesichtslose Zielscheiben dargestellt, sondern als fürsorgliche Familienväter, rührige ältere Herren oder liebenswürdige
Professoren. Wie schon die Soldaten beider Seiten in seinem meisterhaften Zweitweltkriegsfilm «Saving Private Ryan» zeigt Spielberg auch die in Zivil agierenden Krieger des Nahostkonflikts als
Menschen aus bisweilen schwachem Fleisch und nicht so kaltem Blut. Dies ist indes nicht nur Stärke, sondern zugleich auch Schwäche des mit seinen 164 Minuten um über eine Stunde zu lang geratenen
Films; das Politisch-Pragmatische und mitunter Zynische, das hier in den fast alleinigen Zuständigkeitsbereich des Mossad-Mittelsmanns Epharim (Geoffrey Rush) fällt, bleibt so nämlich samt
Glaubwürdigkeit auf der Strecke: Es ist einfach nicht realistisch, dass die Elitekiller eines der bestorganisierten Geheimdienste der Welt eine Mission von solcher Tragweite zu torpedieren bereit
sind, «nur» um ein unschuldiges Mädchen vor dem Tod zu bewahren. Doch bei Spielberg – seit je mehr dem Humanistischen denn dem Politischen verpflichtet – werden halt keine Kinder getötet – basta.
Ein schwer wiegendes konzeptionelles Problem wird aber vor allem dann offenbar, wenn sich «Munich» im letzten Drittel fast exklusiv dem persönlichen Drama des zunehmend abgestumpften und
desillusionierten Helden Avner zuwendet – zumal Spielberg und Bana es zuvor nicht verstanden haben, wirkliches Interesse am insgesamt blass bleibenden Protagonisten zu wecken. Wo also die ganz
grossen Gefühle und die ganz wichtigen Gedanken evoziert werden sollen, wird bloss ein müdes Schulterzucken oder – im Falle einer abstrusen, von Rückblenden auf die Münchener Attentate
untermalten Sexszene – gar Kopfschütteln geerntet.
Weder Fisch noch Fleisch
Zu diesem Zeitpunkt hat man seinen Wissensdurst freilich längst gestillt und würde das insgesamt sehr wohl beeindruckende und bedenkenswerte Gesehene lieber mal sacken und alsdann Revue passieren
lassen. Zu Spielbergs Gunsten könnte dabei dann etwa vorgebracht werden, dass der faszinierenderweise nicht nur im Look, sondern auch im Stil ganz den Siebzigerjahren verhaftete Film – obgleich
aus israelischer Sicht geschildert – beiden Seiten die Gelegenheit gibt, ihren jeweiligen Standpunkt zu vertreten; Partei ergreift Spielberg für nichts und niemanden. «Munich» ist sozusagen
politisch korrekt – und das ist für einmal nur positiv gemeint: Es kann schliesslich auch als gutes Zeichen gewertet werden, wenn sowohl die Israelis als auch die Palästinenser Spielbergs Film
attackieren. Ungünstig schlägt demgegenüber zu Buche, dass Spielberg trotz meist erfolgreichen Bemühens um eine intelligente Reflexion über den Terrorismus im Besonderen wie im Allgemeinen das
all seinen Filmen – sogar noch «Schindler’s List» – inhärente Trivialisierende und Popularisierende nicht ganz auszublenden vermag; dass so etwa zwischendurch deplatzierte Witzchen gerissen
werden; oder dass die europäischen Schauplätze wie aus dem Reisekatalog ausgeschnitten wirken; dass aber auch die leicht klischeehafte Typen verkörpernden Darsteller wie so oft bei Spielberg
bloss Durchschnittliches abliefern; und dass das Spannungstiming – eigentlich eine Stärke Spielbergs – zu wünschen übrig lässt. Unter dem Strich ist «Munich» weder Fisch noch Fleisch:
Politisches, Philosophisches und Psychologisches, alles halb gar, in einem historisch zwar sorgfältigen, visuell zwar bestechenden, jedoch nur leidlich packenden, nur bedingt vereinnahmenden
Mainstream-Film, den Spielberg mit allen Mitteln noch rechtzeitig für die Oscars fertig gestellt haben wollte und dem er darob im Schneideraum nicht die nötige Sorgfalt angedeihen liess.