von Sandro Danilo Spadini
Wenn am 5. März in Hollywood die Oscars in schwitzige neue Hände kommen, darf nebst strahlenden Gesichtern auch mit nachdenklichen Worten gerechnet werden. Die Zeit der wunderlichen Wesen, der
überdimensionierten Materialschlachten und der wohlfeil ergatterten Tränen ist wenigstens vorderhand vorbei; die amerikanische Filmindustrie macht dieses Jahr auf ernst und huldigt für einmal
kleineren, soziale und politische Konfliktstoffe aufgreifenden Filmen wie «Brokeback Mountain» oder «Good Night, and Good Luck». Vertreten sein wird im Kodak Theatre passenderweise auch das
Sozialdrama «North Country» der Neuseeländerin
Niki Caro («Whale Rider»), das sich mit immerhin zwei verdienten Nominierungen – für Charlize Theron (Hauptrolle) und Frances MacDormand (Nebenrolle) – schmücken darf. Vergleichsweise stark
fiktionalisiert wird hier der Fall einer Bergwerkarbeiterin im US-Bundesstaat Minnesota aufgearbeitet, die Ende der Achtzigerjahre mit der ersten Sammelklage wegen sexueller Belästigung am
Arbeitsplatz für Aufsehen sorgte und im Zuge dessen einen historischen Sieg für die Rechte weiblicher Arbeitnehmer errang. Basierend auf dem Bestseller «Class Action», wird die reale
Gerichtssache «Lois E. Jenson v. Eveleth Taconite Co.» in «North Country» zur filmisch traditionell ausgearbeiteten und mit viel Herz und Schmerz ausgeschmückten Akte «Josey Aimes v. Pearson
Taconite and Steel Inc.» – zu einer sehr amerikanischen Lobeshymne auf den Mut und die Zivilcourage des Underdogs im Stile von «Norma Rae» oder «Erin Brokovich».
Eine gegen alle
In der prestigeträchtigen Rolle der Josey Aimes zu sehen und zu bestaunen ist die vom Fotomodell zur Oscar-Preisträgerin avancierte Südafrikanerin Charlize Theron, die sich hierfür abermals ihrer
blendenden Schönheit entledigt hat und sich dergestalt wie schon in ihrem Triumph «Monster» erfolgreich um Glaubwürdigkeit müht. Assistiert wird ihr dabei von einer dezent agierenden
Supportdarsteller-Schar um die unvergleichliche Frances MacDormand, flankiert von der – freilich eher formschwachen – Legende Sissy Spacek, den soliden Routiniers Woody Harrelson und Sean Bean
sowie der erfrischend aufspielenden Nachwuchskraft Michelle Monaghan. Deren Figuren verkörpern in «North Country» das Gute, sie alle stehen auf Joseys Seite, auf der richtigen Seite im Kampf
gegen die chauvinistische und sexistische Diskriminierung am männerdominierten Arbeitsplatz. Es sind harte Jungs und fast ausnahmslos hohlköpfige Hinterwäldler, die in Don Pearsons Bergwerk unter
Tage schuften und es nicht ertragen können, dies an der Seite von einer Hand voll Frauen zu tun. Da wird beschimpft und begrabscht, gemobbt und gepeinigt, und bisweilen müssen Josey und ihre
Kolleginnen nicht nur um ihr seelisches, sondern auch um ihr körperliches Wohlergehen fürchten. Doch solcherlei bekümmert die zynischen Herren des Managements nicht die Bohne, beinhaltet diese
Arbeit – wie es Joseys Vorgesetzter bereits am ersten Tag deutlich macht – ja ohnehin allerhand Sachen, die eine Frau nicht tun sollte. Ergo haben Frauen hier eigentlich auch nichts zu suchen,
aber wenn sie dann halt dennoch da sind, dann sollen sie gefälligst nicht rummosern und die Klappe halten. So schaut es hier aus, und alle – ob Männlein oder Weiblein – akzeptieren das. Alle.
Ausser Josey.
Ungenutztes Potenzial
Es ist in erster Linie Wut, was Regisseurin Niki Caro evozieren will. Grenzenlose Wut über Borniertheit und Ungerechtigkeit, die auch den Hintersten und Letzten im Publikum erfassen und auf
Joseys Seite ziehen soll. In zweiter Linie ist es natürlich Bewunderung für die Titelheldin, für deren Mut, deren Charakterstärke und deren Durchhaltevermögen. Den gewünschten Effekt erzielt Caro
in beiden Fällen: Man ist wütend, man bewundert. Allerdings hätte es nicht geschadet, wenn einem die Anliegen des Films etwas subtiler vermittelt worden wären. Paradoxerweise genügt die
modifizierte reale Geschichte aber auch in feministischer Hinsicht nicht ganz den Ansprüchen. Wenn es etwa in den finalen Gerichtsszenen primär um Joseys Sexualverhalten und letztlich um die
Wiederherstellung ihrer Frauenehre geht, führt das meilenweit am springenden Punkt vorbei. Gerade mit solchen Szenen, wo ein Abdriften in Sozialkitsch trotz Therons taktvollem Spiel nur mit Mühe
verhindert werden kann, schenkt Caro leider einiges her. Das in ihrem Stoff schlummernde Potenzial schöpft sie aber auch anderweitig nicht voll aus, weshalb am Ende «nur» ein grundsolider, ein
guter, ein beinahe sehr guter Film steht, wo im Grunde ein grossartiger Film hätte stehen können, sollen und müssen.