von Sandro Danilo Spadini
Für seinen ersten Auftritt in «Pirates of the
Caribbean: Dead Man’s Chest», dem zweiten Teil der in Kürze vollständig abgedrehten Trilogie aus dem Hause Disney, lässt er sich einen Moment Zeit. Doch dann ist Jack back, und zwar
erwartungsgemäss sogleich mit planlos polternden Pauken und tonunsicher tosenden Trompeten. Ein vielstimmiges Raunen und Kreischen wird in diesem Augenblick den in den folgenden zweieinhalb
Stunden noch manches Mal bebenden Kinosaal erschüttern. Denn Captain Jack Sparrow, dieser tuntig narzisstische Schmuddel-Pirat, wird geliebt wie kaum eine andere Filmfigur der letzten Jahre und
hat es dank des grenzenlos exaltierten Spiels von Johnny Depp gar in den Rang einer veritablen Popkultfigur geschafft. Und weil es im Zuge dessen für seinen wie eh und je nach dem schnöden Mammon
gierenden Produzenten Jerry Bruckheimer ganze Schiffsladungen voll Moneten abgeworfen hat, durfte und musste Jack wiederkommen.
Furioser US-Start
Dass diese Rückkehr unter ungleich grösserem Getöse vonstatten gehen würde, durfte derweil ebenso erwartet werden wie ein Mindestmass an Neuerungen gegenüber Teil eins. Erfolgsrezepte sind in
Hollywood halt heilig, variiert werden sie jeweils so lange nur geringfügig, bis einem das Aufgetischte zum Halse raushängt. Das Motto lautet entsprechend auch hier: mehr vom selben, einfach eine
Spur fettiger und geschmacksneutraler. Verschoben hat sich dabei trendgemäss das Verhältnis zwischen Plot und Spezialeffekten; Letztere sind bei Filmen dieser Art ja mittlerweile Fleisch und
Knochen, wo sie früher, in der Zeit vor den Herren und Ringen, noch Würze und Kräuterbutter waren. Dem Publikum scheints freilich wurscht oder vielmehr recht zu sein: In den USA ist «Dead Man’s
Chest» soeben furios gestartet.
Rumschlagender Held
Die Besatzung des zweiten Abenteuers ist an Deck wie am Ruder praktisch identisch mit jener des Vorgängers. So agieren und chargieren unter der erneut brachial-beeindruckende Bilder
hervorbringenden Regie von Gore Verbinski wiederum das forsche Mannsweib Keira Knightley und der spröde Pappkamerad Orlando Bloom an Johnny Depps Seite. An Bord rumkreuchen und -fleuchen dürfen
nebst dem tintenfischigen neuen Bösewicht Bill Nighy auch wieder allerlei Gespenster und Getiere, die sich eines recht hohen Ekel-Quotienten erfreuen und Jacks Mannen bei der Suche nach einem
vergrabenen und noch schlagenden Herzen das Leben schwer machen. Da sind sie aber nicht die Einzigen. Eigentlich will hier jeder und alles unserem sich mit immer neuen Herausforderungen
rumschlagenden Helden an den Kragen, weshalb es im Minutentakt zu mal mehr, mal weniger gewitzten Fechtduellen, Kneipenschlägereien und sonstigen Scharmützeln zu Land, am Strand oder auf See
kommt.
Der Star ist die Technik
Dialog und Handlung müssen ob diesem konstanten Zeter, Mordio, Sodom und Gomorrha fast naturgemäss in den Hintergrund treten, was sich gerade auf der Humorebene nachteilig auswirkt. Da sich Jacks
Zoten trotz Depps neuerlicher Galavorstellung mit der Zeit verbrauchen, wird hier vornehmlich auf Pannen-
show-Slapstick gesetzt. Das geht ja auch flotter von der Schreiberhand und schaut dann so
aus: Jack stolziert, stürzt, fällt auf den Hintern und verdreht die Augen. Er steht auf, torkelt weiter, stösst sich irgendwo den Kopf an und verdreht die Augen. Er sammelt sich, schwankt voran,
kriegt von oben was auf die Rübe und verdreht die Augen. Wiederholt wird in «Dead Man’s Chest» also nicht nur der Vorgänger, in hohem Masse repetitiv ist der Film auch in sich. Herausgekommen ist
so eine letztlich banale, wenn auch angenehm selbstironische Nummernrevue, deren vornehmste Aufgabe es ist, mit ihrem offenen Schluss Appetit auf Teil drei zu machen. Ein überlanges und
überdimensioniertes Spektakel, in dem selbst Depp untergeht und kaum Raum ist für eine zusammenhängende Geschichte.
Unheilvolle Entwicklung
Anders als im Auftakt der Trilogie sind die Stars hier denn auch weder Schauspieler noch Filmemacher, sondern die Setdesigner und die Leute von der Tricktechnik-Abteilung. Manch
traditionsbewusster Cineast wird sich bei dieser spätestens seit den neuen «Star Wars»-Filmen ausser Rand und Band geratenen Entwicklung bereits die bange Frage gestellt haben, wann
Hollywood-Filme aufgehört haben, menschliche Erzeugnisse zu sein. Wann das Herz zum Stillstand gekommen ist. Wann die Buchhalter und Computer die Macht übernommen haben. Eine Antwort darauf
wissen womöglich George Lucas und Steven Spielberg, die schon in den Siebzigern systematisch damit angefangen haben, das «Erwachsene» aus dem Mainstream rauszubomben und rauszubeamen, um mit
einem immer jüngeren Publikum ins ungeahnt lukrative Geschäft zu kommen. Dies indes mit künstlerisch weit ambitionierteren Produktionen und als Filmemacher einer selbstbewussten Generation, die
sich der Innovation und dem Aufbrechen überkommener Strukturen verschrieben hatte.
Verlorene Seele
Kassenschlager-Kandidaten wie jüngst «Poseidon» oder eben «Dead Man’s Chest» lassen derweil vermuten, dass Ambition und Innovation inzwischen nur noch im technischen Sektor lebendig sind; und was
im «New Hollywood» vor bald 40 Jahren als Revolution begann, hat sich nicht zuletzt wegen Lucas und Spielberg, den längst ganz unrevolutionären Trägern, Profiteuren und Förderern des heutigen
Systems, auf geradezu perverse Weise ins Gegenteil verkehrt: Die Strukturen sind heute starrer denn je, die Filmemacher sind so machtlos wie noch nie, und die Infantilisierung des Publikums hat
zu einer turbokapitalistischen Kommerzialisierung des Kinos geführt. Logisch ist es da nur, dass ein talentierter Jungregisseur wie Gore Verbinski, der eben erst mit der Tragikomödie «The Weather
Man» sein riesiges Potenzial offenbart hat, in Produktionen der Superschwergewichtsklasse ein Handlanger des übermächtigen Gewinnmaximierers Jerry Bruckheimer bleibt: ein marionettenhafter
Auftragsfilmer ohne eigene Handschrift. «Dead Man’s Chest» ist nicht sein Film, er ist Bruckheimers Film. Irgendwann, wenn die moderne Technologie billiger ist, wird das Menschliche wohl
endgültig aus den Blockbustern getilgt, indem auch noch die Schauspieler durch computeranimierte Fritzen ersetzt werden. Was im Falle eines Orlando Bloom vielleicht gar nicht mal so eine üble
Vorstellung ist, würde den Status unseres Lieblingspiraten dann ein für alle Mal zerstören. Seiner Seele ist Captain Jack notabene bereits in «Dead Man’s Chest» beraubt worden.