von Sandro Danilo Spadini
Von all den mutigen und wichtigen Filmen, die dieses Jahr um die Oscars ringen, ist Stephen Gaghans «Syriana» vielleicht der mutigste und wichtigste. Schlüssiger noch als Steven Spielbergs «Munich» die Spirale der Gewalt im
Israel-Palästina-Konflikt aufzeigt, beleuchtet der für das beste Originaldrehbuch und – in Person eines übergewichtigen und vollbärtigen George Clooney – für die beste Nebenrolle nominierte
Politthriller die Machenschaften im internationalen Ölbusiness und die daraus abzuleitenden Implikationen für das Spannungsfeld zwischen dem Westen und dem Mittleren Osten. An weit über einem
Dutzend Schauplätzen in Europa, den USA und den Golfstaaten taucht Gaghans Film knietief in einen Sumpf von Korruption und Intrigen ein und dokumentiert die Geschehnisse um einen Milliardendeal
und dessen Konsequenzen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Grosse Fische, kleine Fische
Auf verzwickt verschachtelte Weise knöpft sich «Syriana» in vier behutsam entwickelten Haupthandlungssträngen die betrügenden wie die betrogenen Akteure im schmutzigen Geschäft um das schwarze
Gold vor: den erschöpften CIA-Veteranen Robert Barnes (Clooney), der sich urplötzlich in der Rolle des Sündenbocks für ein gescheitertes politisches Attentat in der Golfregion wiederfindet; den
karrieretüchtigen und -süchtigen Anwalt Bennett Holiday (Jeffrey Wright), der die «Due Diligence» in der geplanten Fusion des texanischen Ölgiganten Connex mit dem dank Bohrrechten in Kasachstan
attraktiv gewordenen Konkurrenten Killen vornehmen soll; den von Genf aus wirkenden Energie-Analysten Bryan Woodman (Matt Damon), der nach (und wegen) dem Unfalltod seines Sohnes zum Berater des
reformwilligen Prinzen Nasir (Alexander Siddig) aufsteigt; Holidays mit der Elite Washingtons auf Du und Du stehenden Boss Dean Whiting (Christopher Plummer); den kernigen Connex-Chef Jimmy Pope
(Chris Cooper); den mysteriös bleibenden Berater Stan (William Hurt); den jugendlich-ungestümen Prinzen Meshal (Akbar Kurtha), der einen für die US-Wirtschaft folgenschweren China-Deal seines
Bruders Nasir verhindern will und in der Frage der anstehenden Thronfolge folglich auf breite Unterstützung amerikanischer Interessengruppen zählen darf; und die arbeitslos gewordenen
pakistanischen Connex-Arbeiter Wasim (Mazhar Munir) und Farooq (Sonnell Dadral), die in einer Islamschule einer fatalen Gehirnwäsche unterzogen werden.
Erhellend und intelligent
Dieses (längst nicht vollständige) Verzeichnis der «Player» mag die Komplexität des in Clooney und Steven Soderbergh von der engagierten Linken Hollywoods produzierten Films einigermassen
veranschaulichen. In stilistischer und gerade auch konzeptueller und dramaturgischer Hinsicht erinnert «Syriana» an Soderberghs «Traffic» – und das ist natürlich kein Zufall, stammt doch das
Oscar-prämierte Drogendrama ebenfalls aus dem Laptop von Stephen Gaghan. Mit dem kommerziell gescheiterten Thriller «Abandon» hat dieser bereits vor rund drei Jahren ein wenigstens visuell
ansprechendes Gesellenstück vorgelegt, dem nun folgerichtig die schweisstreibende und auch für das Publikum kräftezehrende Meisterprüfung folgt. Indem er die einzelnen Geschichten und die
jeweiligen Thematiken immer nur anschneidet, nur kurz am gleichen Ort verweilt und die (sich letztlich stattlich summierenden) Informationen jeweils nur häppchenweise preisgibt, verlangt Gaghan
dem Betrachter nämlich ein Höchstmass an Konzentration ab; mit seiner Strategie der kleinen und hektisch hüpfenden Schritte läuft er bisweilen freilich Gefahr, seine geneigte Kundschaft zu
überfordern und in dem Labyrinth aus Plots und Subplots zu verlieren. Denn das Bild bleibt lange unscharf, die Puzzleteile werden – scheinbar planlos – von allen Ecken und Enden her eingesetzt.
Doch getragen von einem präsent, präzise und pragmatisch agierenden Ensemble, aus dem der sich allmählich vom charismatischen Star zum «ernsthaften» Schauspieler mausernde George Clooney
magistral heraussticht, entwickelt «Syriana» dank geschlossener Inszenierung bald einen Sog. Je weiter sich Gaghan von den Rändern in den Kern seiner sich so geheimnisumwunden gebenden Geschichte
vorarbeitet, desto dominanter wird die perverse Faszination für die viel beschworene, jedoch selten so kühl und nüchtern aufgezeigte Macht der Arroganz. Seine unverhohlen offene und mehr implizit
auf die Bush-Administration zu münzende US-Kritik übt Gaghan denn auch nicht propagandistisch polternd, nicht leidenschaftlich lamentierend, nicht ausführlich ausformulierend; ebenso wenig
schlägt er sich blindlings auf die Seite der arabischen (respektive persischen) Widersacher. Im Vertrauen auf die Kraft und Klasse seines Drehbuchs setzt er vielmehr auf die Denkfähigkeit des
Publikums. Und dieses wird – Durchhaltevermögen vorausgesetzt – am Ende reichlich belohnt mit einem der kühnsten und klügsten Filme der vergangenen Jahre, der sich für eine nochmalige und dann
gewiss noch gewinnbringendere Betrachtung geradezu aufdrängt.