Katz und Maus und Maus und Katz

Unterstützt von einem Weltklasse-Ensemble, hat Martin Scorsese mit dem Thriller «The Departed» einen Film gedreht, der den Vergleich mit seinen besten Arbeiten nicht scheuen muss.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dass Remakes nicht zwingend eine abgeschmackte Sache sind, hat Martin Scorsese bereits vor 15 Jahren mit seiner quasi handschriftlich signierten Neuauflage des Psychoschockers «Cape Fear» aufgezeigt. Insofern brauchte also auch nicht mit der Nase gerümpft zu werden, als bekannt wurde, dass sich der 64-Jährige des Hongkong-Hits «Infernal Affairs» (2002) adoptivväterlich annehmen würde. Dies umso weniger, als die irrwitzig spannende Geschichte um einen mafiosen Polizeispitzel in der einen und einen polizeilichen Mafiaspitzel in der anderen Ecke förmlich nach einer Neuverfilmung aus eben gerade des Maestros Hand schrie und flehte und bettelte. Entsprechend unüberraschend ist es, dass wie «Cape Fear» auch der in «The Departed» umgetaufte und in die Irenmafia-Szene von South Boston umgesiedelte Thriller diskussionslos als waschechtes «Martin Scorsese Picture» durchgeht. Mehr noch: Auf ein dialogstarkes Drehbuch von William Monahan und ein Weltklasse-Ensemble um seinen Stammspieler Leonardo DiCaprio, Matt Damon und Jack Nicholson bauend, hat Scorsese einen schnörkellosen Genrefilm geschaffen, der auch qualitativ seinen besten Arbeiten in nichts nachsteht.

Aufmarsch der Stars

Schon in den ersten 5 von letztlich 146 atemverschlagend packenden Minuten wird man nachgerade betäubt und berauscht von Regie-, Schreib- und Schauspielkunst. Unter rauer Bildgewalt und hitzigen Wortgefechten marschieren die Stars im Sekundentakt auf. DiCaprio glänzt dabei gleich vom Start weg als blitzgescheiter Polizeiakademie-Abgänger Billy Costigan, der in das Syndikat von Unterweltboss Costello (bei seiner Scorsese-Premiere brodelnd wie ein Vulkan: Nicholson) eingeschleust wird. Seinem windigen Antipoden und psychologischen Doppelgänger, dem bei der Bostoner Polizei unaufhaltsam aufsteigenden Costello-Zögling Colin Sullivan, gibt derweil der passender- und praktischerweise aus ähnlichem Holz wie DiCaprio geschnitzte Damon Haut, Haar, Herz und alles, was in ihm steckt. Den andernorts sich eher limitiert zeigenden Mark Wahlberg (in der Rolle des turboaggressiven Lieutenant Dignam) treiben und jagen Regie und Skript wiederum zu einer Form, die er eigentlich gar nicht erreichen kann; und der mit zunehmendem Alter und Körpergewicht nur noch besser werdende Alec Baldwin spielt seinen Chief Detective Ellerby mit einer authentisch menschlichen Mischung aus Integrität und Jovialität. Ruhende Pole unter all den Hitzköpfen sind schliesslich der unverwüstliche Martin Sheen als Polizeichef Queenan und die wundervolle Vera Farmiga, die als Einige den weiblichen Blick auf das sehr männliche Geschehen wirft; in einer vom Original abweichenden und die bipolare Geschichte um eine Ebene bereichernden Seitenhandlung brilliert sie als Psychologin, der sich nacheinander Sullivan und Costigan auch leiblich anvertrauen.

Explosive Spannung

Natürlich ist hier das aus Hongkong importierte Rohmaterial schon so gut, dass man im Grunde nicht viel verhauen kann. Doch wie Scorsese, Monahan und die in corpore Oscar-reif aufspielenden Mimen die schnell, aber nicht hektisch geschnittene, hart, aber nicht brutal inszenierte Handlung nach vorne peitschen und in immer wieder höhere dramaturgische und psychologische Sphären katapultieren, ist eine Offenbarung. Wenn mit der äusseren Spannung auch die innere Anspannung der beiden zusehends jenseits von gut und böse agierenden Helden ins Unmenschliche steigt, der Druck sich endlich entlädt und sie ins persönliche Fegefeuer entlässt, dann, ja dann wähnt man sich als Zuschauer im Cineasten-Himmel. Dort also, wo uns Scorsese schon so oft wie kein anderer lebender Regisseur hingeführt hat. «The Departed» bebt, pulsiert und explodiert schliesslich vor Kraft, vor Kernigkeit und vor Klasse – ein Katz-und-Maus-Spiel ist das, bei dem die Katze unvermittelt zur Maus und ebenso plötzlich wieder zur Katze wird, bis sich in der finalen Konfrontation unausweichlich zwei fauchende Katzen und zwei verängstigte Mäuse gleichzeitig gegenüberstehen.