von Sandro Danilo Spadini
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da verzückte Dame Helen Mirren in der Titelrolle der ausgezeichneten Channel-4-Miniserie «Elizabeth I» mit einer Leistung, die an subtiler und vitaler
Vielschichtigkeit ihresgleichen suchte. Wer damals das grosse Glück hatte, dieses magisch-magistralen Schauspiels teilhaftig zu werden, der war versucht, zu proklamieren, die russischstämmige
Ausnahmekönnerin sei vom lieben Gott vor 61 Jahren just zu dem Zwecke gen Erde gesandt worden, um die Rolle der berühmtesten britischen Monarchin zu spielen. Nun jedoch kommt man bereits nicht
mehr umhin, diese ohnehin eher abstruse These als Kokolores abzutun; denn nun wird offenbar, dass unser Schöpfer oder vielleicht vielmehr Starregisseur Stephen Frears («High Fidelity») mit Frau
Mirren noch ganz anderes und gar noch Grösseres vorhatte. In Frears’ «The Queen» findet Mirrens Leistung von anno 2005 nämlich zumindest ihresgleichen, und mit diesem stillen und einem mitunter
den Atem abschnürenden Meisterwerk wird die dutzendfach preisgekrönte Engländerin zur ersten Darstellerin, die sowohl die erste als auch die zweite Königin Elizabeth gespielt hat. Am
venezianischen Filmfestival hat ihr das Publikum für letztere Rolle mit einer fünfminütigen Standing Ovation und die Jury mit dem Zusprechen des Darstellerinnenpreises Tribut gezollt – was nun
wahrlich das Mindeste ist.
Chronik der Trauer
«The Queen» ist ein ausserordentlich komplexer, zugleich aber überaus leicht zugänglicher und bisweilen sogar höchst amüsanter Film, der einen lediglich mit Denkanstössen zur Meinungsbildung
versorgt und sich überdies einer eigentlichen Genrezuteilung entzieht: Es ist dies eine flüssig wie detailliert geschilderte Chronik der Ereignisse vom Mai 1997, als der Tod von Prinzessin Diana
die Welt bestürzte und dessen medial angeizte Implikationen das sich vermeintlich teilnahmslos gebende britische Königshaus in den Grundfesten erschütterten. Bewundernswert unparteiisch wird hier
über den Status der Monarchie und den sich scheinbar unbemerkt von der Queen gewandelten Zeitgeist verhandelt; werden Schock und Trauer des Volkes mittels grobkörniger Archivaufnahmen in
verstörend lebendiger, aber nie sensationslüsterner Form in Erinnerung gerufen; wird grundsätzlich wohlwollend und leicht belustigt die in dieser Sache zunehmend dominanter werdende Rolle des
frisch gebackenen und noch idealistisch für Erneuerung eintretenden Premiers Tony Blair («lebensecht» gespielt von Martin Sheen) und dessen munter Monarchie-feindlicher Gattin Cherie (Helen
McCrory) beleuchtet.
Oscar-reife Leistung
Gleichzeitig und nicht minder fundiert entwerfen Frears und Drehbuchautor Peter Morgan wissend hinter die Kulissen blickend ein respekt- und verständnisvolles, wenigstens implizit jedoch auch
kritisches und teils durchaus satirisches Porträt der Queen und ihres einigermassen skurrilen Anhangs. Gezeichnet wird hier indes nicht bloss das der öffentlichen Wahrnehmung entsprechende Bild
einer selbst-, standes- und traditionsbewussten Frau, einer starken, strengen und sturen Lady mit mal hehren, mal antiquierten Prinzipien, die sich kopfschüttelnd gegen Blairs Populismus und
Dianas Promi-Bonus stellt; angedeutet wird vielmehr auch eine andere, nichtöffentliche Seite Ihrer Majestät: eine bei aller chronischen Unterkühlung und Weltfremdheit schalkhaft-gewitzte und
unkompliziert-bodenständige Facette, die etwa im Umgang mit ihren gewiss mehr holzschnittartig gezeichneten Nächsten – dem rohen Philip (James Cromwell), dem sensiblen Charles (Alex Jennings) und
der jovialen Queen Mum (Sylvia Syms) – durchschimmert und ihr tief empfundene Sympathie einträgt. Gerade in diesen Szenen möchte man vor ihr beziehungsweise der famosen Helen Mirren zu Boden
gehen, bis die Knie wund sind, sich vor ihr verneigen, bis das Kreuz zwickt, ihr die Hand küssen, bis die Lippen anschwellen. Auch wenn es noch eine Weile hin ist bis zu den Oscars: Wenn die
Academy ob solch einer majestätischen Leistung nicht beliebt, einen Goldjungen zu spendieren, dann kann diese Zeremonie getrost abgeschafft werden.