von Sandro Danilo Spadini
Ein Hauch von Mysteriösem umgibt bereits die ersten Sequenzen von Atom Egoyans puzzleartigem Thriller «Where the Truth Lies» – ein eiskalter Hauch, der schon bald eine ordentliche Windstärke erreichen und letzten Endes die um den Tod
eines Mädchens (Rachel Blanchard) errichteten Mauern des Schweigens niederreissen wird. Geschwiegen haben Lanny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins (Colin Firth) aber auch lange genug: 15
Jahre hat sich das einstmals ruhm- erfolgreiche Komödiantenduo nicht geäussert zu der Toten in der Hotelbadewanne, zu den Ereignissen jenes Abends im Jahre 1957, die schliesslich zur Auflösung
ihrer Partnerschaft führten. Was damals wirklich geschah, versucht die junge Reporterin Karen O’Connor (Alison Lohman) nun – wir verlustieren uns im Hollywood des Jahres 1972 – im Rahmen ihrer
Recherchen zu einem Buch über Collins herauszukriegen. Die Wahrheit endlich lüften (oder noch weiter verschleiern?) möchte aber auch Morris, der parallel zu Karen an seiner Autobiografie werkelt
und dessen Wege sich (zufälligerweise?) mit jenen der Journalistin kreuzen.
Komplex erzählt
Das hört sich vergleichsweise verworren an, und erzählt wird die auf dem gleichnamigen Bestseller von Rupert Holmes beruhende Geschichte von «Where the Truth Lies» entsprechend auch auf höchst
anspruchsvolle Weise mit zwei Erzählern aus dem Off: Sowohl Karen als auch Morris schildern hier ihre je eigene und eingedenk ihres Wissensstands natürlich grundverschiedene Sicht der Dinge.
Derweil bei Karen die eigentliche Recherche sowie die Herangehensweise an das heisse Eisen und später die Handhabung der nunmehr geöffneten Pandora-Büchse im Vordergrund stehen, ergeht sich
Morris in bisweilen schwelgerischer, nur fast schonungslos offener Beschreibung der glamourösen Vergangenheit. Aus seinem Mund erfahren wir denn auch, was sich hinter den Bühnen der von Mafiosi
kontrollierten Clubs an der Ostküste abgespielt hat: von den Drogen und Dirnen, den Scharmützeln und Schweinereien, der Männerfreundschaft und Märchenkarriere. Mit dem so gewonnenen Wissen weiss
der Zuschauer indes lange nicht viel anzufangen. Zu Beginn verwirrt und ermüdet das konstante Switchen, dieser stete Wechsel von Perspektive und Zeitebene, nämlich doch sehr; und wenn Karen dann
Auszüge aus Morris’ Autobiografie zugespielt werden und durch deren Einbezug in ihren eigenen Bericht noch eine weitere Erzählebene entsteht, scheint das Verzwickte, Vertrackte, Verschachtelte
endgültig ins Überladene, Überfordernde, Überambitionierte überzugehen. Je weiter der Plot jedoch fortschreitet, je näher man der Wahrheit auf die Spur kommt, desto klarer wird das Bild, desto
mehr Sinn ergibt diese die Problematik des Biografierens thematisierende Erzählweise.
Atmosphärisch inszeniert
Abgesehen von der komplexen narrativen Struktur ist «Where the Truth Lies» gleichwohl der bislang zugänglichste Film des kanadischen Meisterregisseurs Atom Egoyan («Exotica», «The Sweet
Hereafter»); quer liegt er deshalb aber nicht in seinem Œuvre, geht es doch auch hier um Tod und Sexualität, um das tragische Sein und den trügerischen Schein, um all das, was einen typischen
Egoyan-Film so ausmacht. Wie bei Landsmann David Cronenberg und dessen jüngstem Werk «A History of Violence» ist die Annäherung an den Mainstream also bloss eine oberflächliche. Das bedeutet
indes auch, dass der armenischstämmige Intellektuelle das Kühl-Distanzierte, das Analytisch-Theoretische nie ganz abzulegen vermag und es damit dem Betrachter verunmöglicht, sich emotional
eingebunden zu fühlen. Warm ums Herz oder sonstwo wird es diesem allenfalls bei den höchst erotischen, beinahe unzeitgemäss freizügigen Szenen, die dem nicht nur inhaltlich an Paul Schraders
«Auto Focus» erinnernden Film in den USA schlagzeilenträchtig das Box-Office-Killer-Rating NC-17 eingebracht haben. Doch diesen an der Schwelle zur Kategorie «Meisterwerk» stehen bleibenden Film
noir auf seine nackten Tatsachen zu reduzieren, wäre freilich völlig verfehlt. Beeindruckend ist etwa die vom Soundtrack sachdienlich beförderte Atmosphäre des Geheimnisumwundenen; bemerkenswert
ist Egoyans zeitgeistige Inszenierung der Fünfziger wie auch der Siebziger; bestechend ist die Chemie zwischen Bacon und Firth als an Jerry Lewis und Dean Martin angelehntes Showduo an der Seite
der betont blass bleibenden und aufgrund ihrer Jugend einigermassen fehlbesetzten Alison Lohman. Selbst wenn «Where the Truth Lies» die Verheissungen der ersten Stunde am Ende nicht gänzlich
einlösen kann, ist dies für Egoyan nach dem Scheitern mit «Felicia’s Journey» und «Ararat» letztlich ein Riesenschritt zurück zu alter Stärke.