von Sandro Danilo Spadini
Am 21. Februar 2002 herrscht für Mariane Pearl endlich Klarheit – grausame Klarheit: Ihr vor rund einem Monat im pakistanischen Karatschi entführter Ehemann Danny ist tot. Der amerikanische
Südostasien-Korrespondent des «Wall Street Journal» ist von Anhängern einer der Al-Kaida nahestehenden nationalistischen Bewegung ermordet worden – womöglich aufgrund seiner jüdischen Abstammung.
Mariane Pearl ist zu diesem Zeitpunkt im siebten Monat schwanger. Sie hat in den Wochen zuvor gefasst, fast kühl gewirkt. Jetzt aber bricht es aus ihr aus. Sie schreit die Wut, die Trauer, das
Entsetzen in ihre zusammengebrochene Welt hinaus. Ihr Schreien, markdurchdringend, herzzerreissend, gänsehauterzeugend, lässt diese leer gewordene Welt stillstehen. Doch sie wird sich fangen,
wird sich aufraffen, wird ein Buch schreiben über die grausamste Zeit ihres Lebens und über den Mut ihres Mannes: «A Mighty Heart: The Brave Life and Death of My Husband Daniel Pearl».
Naturalistischer Stil
Schon im Jahr 2003 erwarb Brad Pitt die Filmrechte an dem beeindruckenden Tatsachenbericht der französischen Journalistin. Dass Pitts Gattin Angelina Jolie dereinst die Hauptrolle übernehmen
würde, war bald klar. Die mit Mariane Pearl abgesprochene Suche nach einem geeigneten Regisseur gestaltete sich derweil schwieriger. Schliesslich stiess man mit dem englischen Vielfilmer Michael
Winterbottom auf einen Kandidaten, der ganz im Sinne Pearls garantieren würde, dass Seriosität und Pietät den Vorzug vor Sensationalismus und Plakativismus erhielten. Winterbottom, der seit
seinem Durchbruch im Jahre 1995 nicht weniger als 14 Spielfilme unterschiedlichster Genres und Qualität gedreht hat, ist bei aller Vielseitigkeit und Heterogenität seines Œuvres ja vor allem als
einfühlsamer, tief in die Psyche seiner Figuren eindringender Regisseur bekannt. Mit Streifen wie «Welcome to Sarajevo», dem Afghanistan-Drama «In This World» oder jüngst «The Road to Guantanamo»
hat er sich zudem bereits mehrfach in politische Krisenregionen vorgewagt. Es überrascht denn auch nicht, dass er «A Mighty Heart» eine sehr geschmackvolle Form gegeben hat. Der Inszenierungsstil ist abermals ein betont naturalistischer,
gedreht wurde mit Handkamera, bevorzugt bei natürlichem Licht und unter einem Minimum an Regienanweisungen. Improvisationskunst war dabei nicht nur von der Crew, sondern auch von den Darstellern
gefragt, was sich im Ergebnis in ungewohnt ungekünstelten, von Profilierungswillen freien Performances äussert – gerade auch in jener Jolies. Sich jedweden Glamours entledigend, darf die
Oscar-Preisträgerin hier endlich wieder einmal seriös ihrem Beruf nachgehen und einem in das von ihrer Schönheit und zahllosen schlechten Filmen vernebelte Bewusststein zurückrücken, dass sie
eigentlich eine ziemlich gute Schauspielerin ist.
Respekt ja, Bewunderung nein
Die inszenatorische Zurückhaltung, die sich etwa in der begrüssenswerten Aussparung des von den Entführern später publik gemachten Enthauptungsvideos in realer oder nachgestellter Form zeigt,
sowie die gleichsam dokumentarische Akribie, mit der Winterbottom die Ermittlungen aufrollt, gehen mitunter freilich auf Kosten von Spannung und Emotion. Insbesondere im zweiten Teil erzeugt
Winterbottoms Unwillen zur Dramatisierung einige Längen. Geschildert beinahe ausschliesslich aus den Augen Mariane Pearls oder der pakistanischen und amerikanischen Ermittler, haftet dem Film
trotz der recht temporeichen Inszenierung etwas Statisches an. «A Mighty Heart» ist ein sehr nüchternes, erstaunlich unpolitisches und unideologisches Protokoll einer Leidensgeschichte geworden,
deren Tragik aufgrund einer gewissen Distanziertheit letztlich nicht in ihrer ganzen Tragweite spürbar wird. Es ist dies ein Film, der sich zwischen Drama und Agententhriller bewegt, aber trotz
Aufweisens aller genretypischen Merkmale weder das eine noch das andere ist. Ein ehrliches und ambitioniertes Werk schliesslich, das Respekt verdient und auch abverlangt, aber nur in seltenen
Momenten Bewunderung auslöst.