In den Fängen wild gewordener Junger

In dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Jugendkriminaldrama «Alpha Dog» macht inmitten eines Top-Ensembles aus Jung- und Altstars auch der Sänger Justin Timberlake eine gute Figur.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dass die Dinge in Nick Cassavetes’ Drama «Alpha Dog» schlecht und schlimm ausgehen werden, ist auch in Unkenntnis des hier zugrunde liegenden wahren Falls schon von vornherein klar. Wie schlecht und wie schlimm dies alles enden wird, geht aus den vor- und dazwischengeschalteten (nachgestellten) Interviews zwar nicht hervor. Doch nicht zuletzt aufgrund der rauen Bildsprache und des düsteren Grundtons des Films tippt man auf sehr schlecht und sehr schlimm. Befasst man sich dann noch wenigstens flüchtig mit den realen Hintergründen, verdichtet sich selbige Vermutung schliesslich zur Gewissheit. So stand nämlich das titelgebende und die Fäden ziehende Alpha-Tier, das im richtigen Leben Jesse James Hollywood und im Film Johnny Truelove heisst, bereits im Alter von 20 Jahren und bis zu seiner Verhaftung anno 2005 auf der FBI-Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher – und auf diese Liste kommt man ja nicht, weil man den kleinen Bruder seines Widersachers mit nur anfangs kriminellen Absichten entführt und letztlich bloss auf eine bier- und grassgeschwängerte Odyssee durch das kalifornische Privatparty-Leben mitschleppt.

Wechselnde Handlungsträger

Nein, Jesse James Hollywood, dieser Marihuana-Kleindealer aus Santa Barbara, hat weit übelriechenderen Dreck am Stecken, weshalb ihm nun also die Todesstrafe droht. Da das Verfahren gegen ihn derzeit noch läuft, sorgte Cassavetes’ Rekonstruktion der Ereignisse vom August 2000 in den USA für gehörigen Aufruhr. Über ein Jahr musste um die Freigabe von «Alpha Dog» gekämpft werden, zumal sich hier die Fiktionalisierung des Geschehens trotz Namensänderungen in engen Grenzen hält. Wie die fast penibel um faktische Vollständigkeit bemühten Texteinblendungen während des Films verraten, ist Cassavetes’ Anspruch vielmehr ein gleichsam dokumentarischer. Entsprechend vielköpfig ist die Schar der vornehmlich aus Mittel- bis Oberklasseverhältnissen stammenden Protagonisten, von welchen einige der prominentesten überdies im Handlungsverlauf zwischenzeitlich ganz aus dem Fokus fallen. Was anderen Geschichten stattliche Kohärenzprobleme eintragen würde, wirkt sich bei «Alpha Dog» aber im Sinne der Zeichnung eines Sittenbilds der amerikanischen Jugend derart bekömmlich aus, dass er guten Gewissens auf eine Stufe mit Larry Clarks «Bully», Barbara Kopples «Havoc» und vielleicht gar Gus Van Sants «Elephant» gestellt werden darf.

Verstörendes Zeitdokument

Geschuldet ist dies zum einen Cassavetes’ Schreiber- und Regiequalitäten und zum anderen den Performances seiner Jungstars, allen voran jenen von Emile Hirsch und Ben Foster. Sie brillieren in den zunächst handlungstragenden Rollen des Jung-Drogenbarons Johnny Truelove respektive des Speed-getriebenen Hitzkopfs Jake Mazursky, deren Zwist die Entführung von Jakes Bruder Zack (Anton Yelchin) initiiert. Wenn sich die beiden ab Filmmitte zunehmend rar machen und den Plot fast nur noch abseits der Bildfläche lenken, rückt neben dem sich inmitten mancher blonder und sonstiger Versuchung königlich amüsierenden Kidnapping-Opfer dessen von Popstar Justin Timberlake tipptopp gespielte «Aufpasser» Frankie ins Zentrum. Es ist dies die ambivalenteste Figur der Geschichte, und die (freundschaftliche) Beziehung zwischen Frankie und Zack entwickelt sich letztlich denn auch zum Spannendsten, was dieser ohnehin sehr spannende und zudem hochaktuelle Film zu bieten hat. Wohl vermag auch «Alpha Dog» nicht restlos zu klären, wie gut situierte Jugendliche unter dem medialen Einfluss etwa von Gewalt und Machismo verherrlichenden Hip-Hop-Videos den da hofierten «Gangstas» nacheifern und die Grenzen zwischen Spass und Ernst aus den roten Augen verlieren können; und auch bietet er nur recht einfache und keineswegs neue Erklärungsversuche an, indem er den meist abwesenden Rabeneltern (u.a. Bruce Willis und Sharon Stone) die Schuld in die Schuhe schiebt. Doch unterm Strich besticht dieses ehrgeizige Projekt nicht nur filmisch, sondern auch als teils verstörendes Dokument einer Besorgnis erregenden Zeit und ihres wild gewordenen Geistes.