von Sandro Danilo Spadini
Streng phonetisch gesehen respektive gehört, verfügt der Mann über keinen ganz so klingenden Namen wie die Genregrössen und Generationsgenossen Brian De Palma, Martin Scorsese oder Francis Ford
Coppola. Aber Ridley Scott ist ganz offensichtlich nun mal kein Italiener, sondern ein Engländer, und sein nun anlaufendes Kriminalepos «American Gangster» ist nicht nur wegen des Mangels an
Italianità denn grad auch kein «Scarface», «GoodFellas» oder «The Godfather». Das Erringen eines vergleichbaren Status hatte Scott für sein fast dreistündiges neues Werk freilich durchaus im
Sinn, wie an dessen Gestus und Aufmachung recht unschwer zu erkennen ist. Dass es am Ende knapp nicht zum angepeilten Prädikat «Meisterwerk» reicht, ist indes sowohl für den 70-Jährigen als auch
für das Publikum zu verschmerzen – mit «Alien», «Blade Runner», «Thelma & Louise» und «Gladiator» ist Scott schliesslich ohnehin bereits überaus prominent in den Filmgeschichtsbüchern
vertreten, und ein ganz weit überdurchschnittlicher Streifen ist «American Gangster» allemal.
Komplexe Persönlichkeit
Nach der «Wein, Weib und Provence-Lobgesang»-Fingerübung «A Good Year», die ob all der nonchalanten Unambition beinahe noch in einer Griffelverstauchung geendet hat, streben Scott und sein
Lieblingsschauspieler Russell Crowe nun also wieder nach Höherem. Crowe nimmt in der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte die Rolle des kerzengeraden Cops Richie Roberts ein, der
innerhalb des von Korruption zerfressenen New Yorker Polizeiapparats der Siebzigerjahre einen sausschweren Stand hat. Im Vergleich zu Richies Kollegen fast schon sympathisch präsentiert sich
derweil der gar nicht gesetzestreue, dafür umso (drogen-)geschäftstüchtigere Titelheld des Films. Der «American Gangster» heisst Frank Lucas (Denzel Washington) und ist eine einigermassen
enigmatische, ambivalente, komplexe Persönlichkeit. Da ist zum einen der sozial engagierte Gut- und Familienmensch Lucas, der in Harlem Truthähne an die Bedürftigen verteilt, seiner armen alten
Mutter ein prächtiges Anwesen kauft und seinen simpel gestrickten Brüdern, Cousins und Neffen Jobs verschafft. Diese haben dann allerdings ganz ursächlich mit dem Drogenhandel zu tun, welcher
zunächst in Harlem und schliesslich auch im Rest von Manhattan nunmehr von Frank kontrolliert wird. Es liesse sich sagen, dass er das erreicht, was Scott mit der Erzählung seiner Geschichte
verwehrt bleibt: Er ist aus dem Schatten der Italiener herausgetreten. Zu verdanken hat Frank das Überrunden der Mafia seiner eigenen Cleverness, im richtigen Moment ein kurzfristig auftretendes
Machtvakuum zu füllen, sowie dem Versagen der LBJs, Nixons und Kissingers. Deren Hinauszögern des Kriegsendes in Vietnam ermöglicht es Frank, in von Armeeflugzeugen beförderten Soldatensärgen
über Jahre hinweg Heroin in die Heimat zu schmuggeln und mit der dergestalt beschafften Importware den New Yorker Markt zu überschwemmen. Solange amerikanische Soldaten in Südostasien ihr Leben
lassen, kann Frank selbiges also in vollen Zügen geniessen – der Zynismus dieser Gleichung tut eigentlich weh, lässt Frank aber kalt. Als brenzlig empfindet er seine Situation erst, als ihm von
allen Seiten her auf die Pelle gerückt wird: Rivalisierende Organisationen fordern mit zunehmender Vehemenz ihren Anteil am Drogenkuchen ein, und Richie Roberts schaut vom ruhigen New Jersey aus
immer genauer hin, wenn Frank sich rührt.
Perfekte Milieuschilderung
Ridley Scott und Star-Drehbuchautor Steven Zaillian («Schindler’s List») beobachten dieses Treiben mit der gerade rechten Mischung aus Faszination und Distanz, sodass das Epochale ihrer Erzählung
kaum in plakativer Effekthascherei ertrinkt. Präzise ist die Schilderung der beiden sich von Gesetzes wegen diametral gegenüberstehenden, sich aber zusehends angleichenden Milieus, und punktgenau
und mit treffsicherem Timing wird das Wandeln zwischen den Welten der Drogen und der Polizei bewältigt. Den Zeitgeist beim Schlafittchen zu packen und die dichte Atmosphäre und Ästhetik der
Siebzigerjahre herzustellen, helfen derweil eine grandiose Ausstattung und ein überragender Soundtrack. Als dienlich erweist sich hierbei auch das gelegentliche Einstreuen historischer
Begebenheiten, die mal kontextualisieren, mal blosse Kulisse bilden – so etwa, wenn Scott den legendären Kampf zwischen Ali und Frazier im Madison Square Garden als Plattform benutzt, auf den
Rängen ein Schaulaufen der Drogenbarone zu veranstalten und so Richie und mit ihm dem Kinopublikum in kompakter Form die Hauptakteure der Unterwelt zu präsentieren. Das ist
kinematografische Ökonomie in Reinkultur und die perfekte Symbiose von dramaturgischer und inszenatorischer Kraft. Es ist dies denn auch einer jener magischen Momente, die eigentlich ein
Meisterwerk konstituieren könnten. Und «American Gangster» hat wohlgemerkt nicht nur diesen einen magischen Moment. Dass der Film übers Ganze gesehen gleichwohl nicht die ultimative Grösse
erreicht, hat folglich andere, namentlich personale Gründe.
Figuren mit Mängeln
Bei der Ursachenforschung für das Scheitern auf höchstem Niveau oder eben das Gelingen auf nur zweithöchstem Niveau stellt man erstaunt fest, dass sich bei der so prominenten
Hauptdarstellerschaft einige minime, aber eben matchentscheidende Unzulänglichkeiten eingeschlichen haben. So ist das bloss solide Spiel des erstmals vor der Kamera vereinten vermeintlichen
Traumpaars Crowe/Washington etwas zu sehr von Routine geprägt – das Überraschende fehlt, die feurige Anteilnahme am Schicksal der Charaktere bleibt entsprechend aus. Erschwerend kommt hinzu, dass
auch die Nebenfiguren mehr Kontur und Charisma vertragen hätten. Denkt man an die Gangsterepen der Italoamerikaner sind es doch gerade auch die Leute aus dem zweiten Glied, die für Unvergessenes
sorgen. Ja bisweilen sind es eben die kleinen Dinge, die Grösse ausmachen – wenngleich es angesichts einer solch hohen Klasse zugegebenermassen spitzfindig bleibt, sich ob der Details zu grämen.