Das Fenster zum Hinterhof der Kinogeschichte

In Anlehnung an Hitchcocks Voyeurismus-Klassiker «Rear Window» hat Regisseur D.J. Caruso mit «Disturbia» einen spannungsreichen, atmosphärisch aber etwas armen Thriller gedreht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Also als Remake von «Rear Window» geht D.J. Carusos «Disturbia» dann doch nicht durch. Gäbe es in der Welt des Films so etwas, könnte man den Voyeurismus-Thriller allerdings als Remix von Hitchcocks Klassiker bezeichnen. Die aus musikalischen Gefilden bekannte Strategie funktioniert nämlich auch im Kino gar nicht mal so schlecht: Beibehalten wird das Grundthema, der Rest wird mitunter jedoch bis zur Unkenntlichkeit modifiziert, auf den neusten Stand der Technik gehievt und der aktuellen Stimmung des Zeitgeists angepasst. Und öfter, als zu erwarten steht, entspringen solchem Tun tipptoppe Sachen – Filmfreunde mögen etwa an das Jodie-Foster-Vehikel «Flight Plan» denken, dem man mit «The Lady Vanishes» mit Fug und Recht einen anderen Hitchcock-Film als Basis unterschieben darf. «Disturbia» geht freilich noch einen Schritt weiter als «Flight Plan». Indem Regisseur Caruso dem Grundelement Thriller in unterschiedlich kleinen Dosen noch die Zusatzstoffe Komödie, Drama, Romanze und Teenagerfilm beimischt, hat er quasi einen Hip-Hop-House-Reggae-Dance-Remix von «Rear Window» gedreht.

Die lieben Nachbarn

Mit dem halbwüchsigen Vorstadt-Desperado Kale (Shia LeBeouf aus «Transformers») hat Caruso zudem einen Protagonisten, der um einiges jünger und auch weit fitter ist als James Stewart. Im Gegensatz zum Hitchcock-Helden macht Kale kein körperliches Gebrechen zum Stubenhocker, sondern eine gerichtliche Verfügung, die es ihm untersagt, das familieneigene Grundstück zu verlassen. Eingehandelt hat sich der Jungspund diesen gesetzlich verordneten und durch eine elektronische Fussfessel gesicherten Hausarrest, weil er seinem Spanischlehrer eine geschmiert hat. Doch keine Sorge: Im Kern ist Kale, durch den Unfalltod seines Vaters noch etwas verstört, ein guter Junge. Und ein neugieriger. Nachdem ihm seine Mutter (Carrie-Anne Moss) iTunes und Xbox entzogen hat, schüttelt Kale seine Lethargie ab und entwickelt ein lebhaftes Interesse für seine Nachbarn. Und da ist auch einiges los: Ein Fenster gibt den Blick frei auf eine frisch eingezogene und chronisch leicht bekleidete Schönheit (Sarah Roemer), ein anderes auf einen potenziellen Mörder (David Morse), der alsbald mit höchstens den zweitbesten Absichten Kales Mama umgarnt. Eine Killer-Blondine und ein Blondinen-Killer also: kein übles Untersuchungsmaterial für unseren Azubi-Voyeur, der dank allerlei technischen Schnickschnacks erst noch allerbestens gewappnet ist für sein neues Hobby.

Passabel unterhaltend

Mit seinen höchst zeitgemässen Gadgets und den vornehmlich jugendlichen Darstellern richtet sich «Disturbia» natürlich zuvörderst an ein ebensolches Publikum. Das heisst nun aber nicht, dass ältere Semester per se ihr Interesse an diesem von Steven Spielberg aufgegleisten Thriller einstellen sollten. Denn wenngleich er zwar auch missglückte Streifen wie «Taking Lives» und «Two for the Money» auf dem Kerbholz hat, ist D.J. Caruso, wie der Erstling «The Salton Sea» (2002) gezeigt hat, kein gänzlich untalentierter Regisseur. Natürlich wäre es eingedenk der Ingredienzien Vorort und Thriller schön gewesen, wenn das hier mehr wie David Lynchs «Blue Velvet» oder vielleicht auch wie die sehr «filmischen» Fotografien Gregory Crewdsons ausgeschaut hätte; die zwischen nur dezent Düsterem und kalifornisch Sonnigem switchende Bildsprache befördert nämlich keine allzu bedrohliche oder besonders dichte Atmosphäre. Auch etwas mehr Stille in den plottechnisch flaueren Passagen wäre dem ohnehin nicht völlig straff gezogenen und gegen Ende ganz einbrechenden Spannungsbogen wohlangestanden, zumal so die gut platzierten wirklichen «Stimmungsmacher» mehr Wirkung erzielt hätten. Und schliesslich wäre man auch ohne die komödiantischen Einlagen von Kales Sidekick Ronnie (Aaron Yoo) gut – besser – über die Runden gekommen. Dank guter Darsteller, allen voran Parade-Bösewicht David Morse, der zügigen Inszenierung und eines nicht unklugen Drehbuchs wird hier aber gleichwohl Unerhaltung auf absolut passablem Niveau geboten, sodass dieser sehr moderne, aber keineswegs bemüht hippe Remix als schöne Talentprobe abgebucht werden kann.