Zwei Brüder auf Spurensuche in Boston

Ben Affleck glückt mit der düsteren Dennis-Lehane-Verfilmung «Gone Baby Gone» ein exzellentes Regiedebüt. Sein Bruder Casey glänzt in dem Thriller-Drama als Hauptdarsteller.

 

von Sandro Danilo Spadini

So kanns gehen. Unlängst sah es noch danach aus, dass Ben Affleck seinen Freund Matt Damon bei Weitem überflügeln und zum kapitalen Hollywood-Superstar aufsteigen würde. Derweil sich Damon regelmässig in künstlerisch ambitionierten, aber wenig einträglichen Projekten verzettelte, setzte Affleck voll auf die Karte Blockbuster und scheffelte die ganz dicken Scheine. Bald jedoch regte sich ein gewisser Unmut über Afflecks uninspirierte Rollenwahl und seine schauspielerische Limitiertheit, welcher durch den aus der unseligen Affäre mit Jennifer Lopez hervorgegangenen Jahrhundertflop «Gigli» noch potenziert wurde und sich endlich zum regelrechten Karrierekiller auswachsen sollte – der inzwischen als snobistischer Geck verschriene und bis auf die Knochen blamierte Beau ward hernach kaum mehr in Big-Budget-Produktionen gesehen. In die entgegengesetzte Richtung hatte sich unterdessen Damons Karriere entwickelt. Dieser kann sich mittlerweile rühmen, unter Regisseuren wie Soderbergh, Scorsese und bald wohl auch Clint Eastwood sein Prestige zu mehren und dank der Bourne-Reihe gleichzeitig zum zugkräftigen Action-Star avanciert zu sein.

Kongeniale Umsetzung

Derlei hat sich Ben Affleck längst abschminken müssen, doch gleichwohl könnte die Geschichte der beiden Freunde, die einst den Drehbuch-Oscar für «Good Will Hunting» absahnten, happy enden. Denn seit Kurzem ist auch der Gestrauchelte wieder auf Kurs, hat im Vorjahr völlig zu Recht in Venedig den Darstellerpreis für seine Rolle im Thriller «Hollywoodland» gekriegt und lanciert jetzt eine sich ausgesprochen vielversprechend anlassende Karriere als Regisseur. Will man ketzerisch sein – und das wollen in der Beurteilung Afflecks nicht wenige –, liesse sich freilich einwenden, dass angesichts der Güte der Vorlage zu diesem Debüt auch nicht viel hat schieflaufen können. Besagter Rohstoff namens «Gone Baby Gone» stammt nämlich aus der Feder des Star-Krimiautors Dennis Lehane, dessen Bestseller «Mystic River» Clint Eastwood in äusserst bewegende bewegte Bilder umgesetzt hat und dessen vorletztes Werk «Shutter Island» wohl von Martin Scorsese verfilmt werden wird. Afflecks «Gone Baby Gone» steht nun Eastwoods Meisterwerk in kaum etwas nach, und das muss – geruht man jetzt aufzuhören, ketzerisch zu sein – zweifellos auch das Verdienst der Regie sein. So bebildert Affleck Lehanes präzise Milieuschilderung der Bostoner Unterwelt und -schicht schier kongenial und offenbar dabei als Quasi-Einheimischer ein tiefes Verständnis für die Figuren. Eine so dichte wie düstere Atmosphäre aufbauend, erzählt er gemessenen Tempos die zutiefst schockierende, hochgradig pessimistische Geschichte um eine sich bis zur veritablen Verschwörung ausbreitende Kindsentführung, wobei er auch ob der zahlreichen Wendungen des durchdachten, vielleicht leicht überfrachteten Plots nie die inszenatorische Ruhe und die erzählerische Souveränität verliert.

Facettenreicher Thriller

Für die Hauptrolle, den mit Unterwelt wie Polizeikreisen gut vernetzten Privatdetektiv Patrick Kenzie, hat Affleck obendrein die perfekte Besetzung gefunden: seinen bisher mehr im zweiten Glied agierenden Bruder Casey. Auch dieser zeichnet sich zuvörderst durch eine nachgerade stoische Ruhe aus, wiewohl das Drehbuch seiner Figur einiges an Unbilden aufbürdet; so wie Ben selbst in den Dramatikspitzen niemals einer tückischen Überinszenierung erliegt, verfällt Casey auch dann nicht in aktionistische Überspieltheit, wenn der kriminalistische Aspekt mehr und mehr hinter den zuweilen ins Religiöse weisenden moralisch-philosophischen und den bei mehr als nur einer Figur in eine ordentliche Tiefe gehenden psychologischen zurücktritt. Zu den erwartet unzart besaiteten und auffällig unflätig parlierenden Gangstern, Bullen, Junkies und sonstigen Zynikern (u. a. Ed Harris als ermittelnder Cop und Morgan Freeman als Polizeichef) setzen der melancholische Antiheld Kenzie und dessen von Michelle Monaghan ebenso dezent dargestellte Partnerin Angela so einen willkommenen Kontrapunkt. Und weil gerade die beiden Afflecks keine grosse Show abziehen, ist das Ergebnis eben auch so spektakulär.