Studie einer unwahrscheinlichen Freundschaft

Im meisterhaften Psychodrama «Notes on a Scandal» treffen mit Judi Dench und Cate Blanchett zwei höchste Schauspielkunst zelebrierende Gigantinnen ihrer Gilde aufeinander.

 

von Sandro Danilo Spadini

Mit zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, wird man in dem von Patrick Marber («Closer») meisterlich-intelligent geschriebenen und von Richard Eyre («Iris») dezent-konzentriert inszenierten Drama «Notes on a Scandal» bekannt und immer intimer vertraut gemacht. Hier die bohemehafte Zeichenlehrerin Sheba (Cate Blanchett), Mitte 30, verheiratet, Mutter einer Teenagertochter und eines autistischen Jungen. Dort ihre resolute Kollegin Barbara (Judi Dench), eine alte Jungfer, allein, einsam, verbittert. Kennen gelernt hat sich das unwahrscheinliche Freundespaar bei der Arbeit an einer staatlichen Schule in London, und verbunden ist es durch ein stetiges Geben und Nehmen: Derweil der dominante Drachen Barbara den autoritätsarmen Neuankömmling Sheba beruflich unter seine Fittiche nimmt, bringt die gesellige Jüngere die gestörte Ältere sozial auf Trab.

Versteckte Agenda

Stärken und Schwächen ergänzen sich in dieser Beziehung also geradezu ideal; doch wo die eine von hehrem Altruismus getrieben ist, verfolgt die andere eine versteckte Agenda, wie man von der im spöttischen Off-Kommentar aus ihren Tagebuchnotizen vortragenden Barbara sogleich erfährt: In Sheba glaubt diese nämlich die so lange wie verzweifelt gesuchte Seelenverwandte gefunden zu haben, deren Herz sie mit kühlem Kalkül und ohne Skrupel zu gewinnen gedenkt. Barbaras Stunde scheint gekommen, als sich der titelgebende Skandal auftut – als sie erfährt, dass ihre Freundin ein Verhältnis mit einem 15-jährigen Schüler hat. Mit berechnender Missbilligung verwickelt sie Sheba in der Folge in eine fatalistische Komplizenschaft, die sie endlich näher, ganz nah, an ihr Lust- und Liebesobjekt heranbringen soll. Der Versuch, Sheba damit gleichzeitig von ihrem rund 20 Jahre älteren Gatten (Bill Nighy) und dem rund 20 Jahre jüngeren Geliebten zu entfremden, schlägt jedoch fehl, sodass Barbara sich schliesslich gezwungen sieht, zum letzten Mittel zu greifen: Sie schwärzt ihre Kollegin an, verrät sie, gibt sie der öffentlichen Demütigung preis, auf dass deren Welt unter einer Schlammfontäne zusammenbricht.

Zwei Psychogramme

Hiermit erreicht die Geschichte ihren Siedepunkt, auf den Marbers Drehbuch wie auch Eyres Regie zuvor mittels perfekten Spannungsaufbaus und vortrefflichen Timings hingewirkt haben – gerade so, dass man sich bisweilen eher in einem Thriller denn in einem Drama wähnt. Zügig zur Sache kommend, ist ihnen bereits vor der Verrat und Vertrauensmissbrauch offen legenden Konfrontation das Kunststück gelungen, in einem Film die Charaktere gleich zweier Frauen auf unaufdringliche, aber umso eindringlichere Weise zu ergründen. Erheblich begünstigt wird dies freilich von den beiden Oscar-Preisträgerinnen Dench und Blanchett, die für ihre mit messerscharfer Präzision und tiefrotem Herzblut gespielten Rollen abermals für die begehrteste aller Filmtrophäen vorgeschlagen sind – die 72-jährige Kino-Spätstarterin Dench zum sechsten Mal seit 1998, die 37-jährige Australierin Blanchett zum dritten Mal seit 1999. Bei zwei solchen Göttinnen, Gigantinnen, Garantinnen für grosse Schauspielkunst ist das Spektakel zwar gleichsam vorprogrammiert; was die beiden mit ihren hervorragend angelegten Parts letztlich machen, schnürt einem dann aber nicht nur bei der finalen psychologischen Explosion den Atem ab. Ein cineastischer Wahnsinn ist es etwa, wie es Dench schafft, im Zuschauer Mitgefühl oder wenigstens Mitleid für die von der ewigen Einsamkeit zum kaltherzigen Monster gemachten Barbara zu wecken. Und um keinen Deut minder imposant ist es, wie Blanchett ihrer Figur trotz deren massiver moralischer Verfehlungen die Sympathien des Betrachters zu sichern vermag. Ohne Marbers und Eyres Verdienste auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, ist «Notes on a Scandal» in seinem innersten Wesen so denn auch ein Schauspielerinnen-Film – einer wohlgemerkt, dem nicht nur in diesem Kinojahr, sondern in der jüngeren Filmgeschichte überhaupt eine Ausnahmestellung zukommt.