von Sandro Danilo Spadini
Man musste Schlimmes erwarten, als sich die ewig kursierenden, aber nie für ganz voll genommenen Gerüchte zur Gewissheit verdichteten – als also klar wurde, dass der seit Jahren exklusiv in
Ausschussproduktionen herumlungernde Ex-Superstar Sylvester Stallone zu seinem 60. Geburtstag tatsächlich sein boxendes Alter Ego Rocky Balboa aus den Trümmern seiner Karriere auferstehen lässt
und ihn ein letztes Mal in den Ring schicken wird. Ein K.o. in der ersten Runde schien das wahrscheinlichste Szenario. Ein Desaster, in welchem der durch vier mässige bis grauslige
Testosteron-Sequels schon arg ramponierte Ruf der 1976 ruhmreich gestarteten Boxer-Saga restlos ruiniert und sich deren Schöpfer in übelster Axel-Schulz-Manier zum Affen machen würde. Das
Handtuch wurde aus der Kritiker- wie der Publikumsecke schon geworfen, lange bevor die erste Klappe zu «Rocky Balboa» fiel; niemand gab dem «Italian Stallion», dem italienischen Hengst, auch nur einen Kleinkredit; keiner setzte einen
Pfifferling auf ihn. «Sly» Stallone fand sich quasi selbst in der Rocky-Rolle: in jener des krassen Aussenseiters – der es wider jede Wahrscheinlichkeit allen (nochmals) zeigt!
Zurück zu den Wurzeln
Die vehementesten Vorbehalte gegen das vermeintlich absurde Rocky-Comeback hätten freilich schon von vornherein entkräftet werden können. So muss etwa das hohe Alter des Protagonisten nicht
zwangsläufig ein unüberwindbares Plausibilitätshindernis darstellen: zum einen, weil man Stallone – dank Botox? – kaum ansieht, dass er schon 60 Jährchen aufm Buckel hat; zum anderen, weil im
immer schon verrückten und inzwischen zusehends zur Freak-Show ausartenden Boxsport einiges möglich ist (man denke da nur an George Foreman, der schliesslich auch schon 45-jährig war, als er 1994
zum Weltmeisterschaftskampf im Schwergewicht gegen Michael Moorer antrat – und gewann). Gift drauf nehmen konnte man überdies, dass der als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller
wirkende Stallone wie beim Oscar-gewürdigten ersten Teil jeden Tropfen seines Herzbluts und jede Faser seines Körpers in diesen Film einbringen wird. Stallone lebt diese Rolle, es ist
buchstäblich die Rolle seines Lebens, er ist Rocky Balboa. Dies ist es denn vor allem auch, was das letzte Wiehern des italienischen Hengsts zu einem Winner wenigstens nach Punkten macht. Dies
und eine sich nicht völlig im Unrealistischen und Eindimensionalen verlierende Story, die zurück zu den Wurzeln findet und sich anders als die anderen Fortsetzungen wieder vermehrt um den
Menschen und weniger um die Kampfmaschine Rocky kümmert. Überraschend lange Dialoge und erwartet schwere Nostalgie sind dabei Trumpf: Mittlerweile verwitwet, führt uns der zum Bistrobesitzer
mutierte Champion mit seinem Rüpel-Schwager Paulie (Burt Young) im Schlepptau an jene schummrigen Ecken Philadelphias, wo einst alles begann, und lässt uns so mit ihm schwelgen. Denn auch wenn
die Fäuste bis zur 80. Minute nicht fliegen, ist dies der Rocky, wie wir ihn kennen und lieben: ein simples Gemüt und herzensguter Kerl, der mit Mutterwitz und dem ihm eigenen Charme unsere
Herzen bricht und mit rühriger und rührender Aufrichtigkeit seinem entfremdeten Sohn (Milo Ventimiglia) wieder näher kommen will.
Auf zum Schaukampf
Und geschuftet, geschwitzt und geboxt wird dann auch noch: Ein von windigen Managern ersonnener PR-Gag, der dem ungeschlagenen, aber unbeliebten Schwergewichtsweltmeister Dixon (Ex-Boxer Antonio
Tarver) zur Imagekorrektur verhelfen soll, entfacht in Rocky doch noch einmal Kampfesfeuer: Die beiden Giganten ihrer Zeit sollen sich in Las Vegas einen Schaukampf liefern, der – nur halb im
Ernst – klären soll, wer denn nun der Grösste ist. Natürlich ist Rocky hier abermals der Underdog. Aber natürlich ist Rocky hier motiviert. Und nicht nur er. Auch der mit reichlich
Sportler-Stallgeruch behaftete Regisseur Stallone lässt es jetzt rocken, nachdem er bis hierhin mit fast eastwoodscher Ruhe und Wärme durchs Aufwärmprogramm geleitet hat. Wiewohl bei den wie
stets sehr dick auftragenden Szenen im Ring etwas weniger inszenatorische Schnickschnack-Hektik geboten gewesen wäre, bringt er die Las-Vegas-Boxshow-Atmosphäre letztlich haargenau auf den Punkt.
Und wenn dann der letzte Gong für Rocky ertönt, bleiben bei allem Pathos und Zuckerguss verblüffenderweise eine durch Mark und Bein gehende Ergriffenheit und ein Hauch von geradezu poetischer
Schönheit und Gerechtigkeit zurück. Sich dessen zu erwehren, ist beinahe eine Kunst und bedarf höchster Selbstdisziplin. Wie hat doch ein renommierter US-Kritiker geschrieben: «Es fällt sehr
schwer, ‹Rocky Balboa› nicht zu mögen – und glauben Sie mir: Ich habe es versucht.»