von Sandro Danilo Spadini
Anders als die Modewelt findet Hollywood beim Rezyklieren längst vergessener oder überwunden geglaubter Trends einfach nicht den richtigen Dreh. Derweil auf Geheiss der Gewandindustrie inzwischen
sogar Leggins und Röhrenjeans wieder chic zu sein haben, werden Western oder Musicals so wohl nimmer zum Mainstream. Es ist folglich nur logisch, dass auch die Reanimation des sogenannten
Exploitationfilms zuvorletzt wiederholt fehlgeschlagen war. Mit Streifen wie «Running Scared» oder «Smokin’ Aces» versuchten junge wilde Filmemacher den Blei- und Gewaltorgien der Sechziger und
Siebziger zu huldigen – und konnten trotz guter Ansätze nicht so richtig beim breiten Publikum landen. Nun scheint sich indes eine Trendwende abzuzeichnen, die zuvörderst die Krawallbrüder
Quentin Tarantino und Robert Rodriguez zu verantworten haben. Mit ihren «Grindhouse»-Filmen haben sie den Trash abermals zur Kunstform erklärt und sind mit dieser Proklamation auch auf das eine
oder andere offene Ohr gestossen. Den just ergatterten Titel der neuen Exploitation-Könige müssen Tarantino und Rodriguez jetzt freilich bereits wieder abtreten. Denn jetzt kommt «Shoot ’Em Up» des bis dato vornehmlich mit
Videopremieren ungünstig aufgefallenen Spätstarters Michael Davis: ein völlig abgefahrener, rabenschwarzhumoriger Actionstreifen mit einem sehr hohen Munitionsverschleiss.
Neue Absurditätsstandards
Die an der Auftaktszene abzulesende Prämisse von «Shoot ’Em Up» lässt keine Fragen offen und kein Auge trocken: Neue Standards in Sachen Absurdität setzend, sehen wir den griesgrämigen Ballermann
Smith (Clive Owen), wie er sich einer von Finsterlingen gejagten Schwangeren annimmt und ihr inmitten eines gewaltigen Feuergefechts bei der Entbindung hilft (die Nabelschnur wird natürlich
durchschossen). Die Frau zu retten, vermag er letztlich zwar nicht, doch das Neugeborene kann er in (relative) Sicherheit bringen – zu einer Nutte (Monica Bellucci), die sich praktischerweise auf
Laktation-Fetischisten spezialisiert hat und damit eine unter den gegebenen Umständen recht akzeptable Ersatzmutter abgibt. Unter Führung des halb hellseherisch veranlagten Ex-FBI-Manns Hertz
(Paul Giamatti) sind die Schurken der disfunktionalen Familie jedoch stetig auf den Fersen. Während sich die finsteren Reihen dank Smiths Zielwassergehalt im oberen Promillebereich lichten und
dank der fleissigen gegnerischen Human-Resources-Abteilung von Neuem wieder verdichten, kommt ein Komplott von kapitalem Ausmass zum Vorschein: Mitten in ein schweinisches Scharmützel zwischen
ranghohen Politikern und potenten Industriellen scheinen Smith und die bestrapste Nanny hier geraten zu sein. Und weil beide Pole in diesem Konflikt höchst unsympathisch sind, kann Smith gar
nicht anders, als in alle Richtungen und aus allen Rohren zu schiessen.
Mehr Blei als Blut
Ganz klar: Dieses Hirngespinst von einem Film hat Kultpotenzial. Hingewirkt wird auf den Status eines Neoklassikers des Exploitationkinos indes nicht mit überhippen Inszenierungssaltos oder
pseudofetzigem Sequenzengeschnipsel, wie man das sattsam aus Streifen à la «Snatch» oder eben jüngst «Smokin’ Aces» kennt. Das Tempo, wiewohl hoch, ist hier denn auch nicht das bestimmende
Stilmittel. Stattdessen setzt Regisseur Davis alles auf die Karten Krawall und Krawumm. Kein Trick ist ihm zu trashig, kein Effekt zu billig, und jedwedes Spurenelement von Realismus kickt er
wuchtig von der Leinwand, auf dass ein regelrechter Action-Slapstick Einzug halten kann. Das ist konsequent, auf rustikale Art oft brüllend komisch, und handwerklich okay ist es auch. Nicht ganz
von der Hand zu weisen ist derweil, dass die von Coolness getränkte Ironie bisweilen in einen recht unwirschen – diesem Genre freilich inhärenten – Zynismus kippt. Ihm vermögen letztlich jedoch
die Redundanz und die Überzeichnung des Gezeigten die Spitze zu nehmen. Und die Diskussion auf die «moralische» Ebene zu wuchten, scheint ohnehin müssig. Es würde ja suggerieren, dass man diesen
mehr blei- denn blutintensiven Filmsonderling ernst nimmt – was nun wirklich in niemandes Sinn sein kann.