Die ins Nichts laufende Jagd auf den Serienmörder

Der auf wahren Begebenheiten beruhende und vom gleichnamigen Bestseller adaptierte Thriller «Zodiac» von «Seven»-Regisseur David Fincher ist ein Film der leisen Töne und von grosser Klasse.

 

von Sandro Danilo Spadini

Am 1. August 1969 erhält der «San Francisco Chronicle» seltsame Post: einen an den Chefredaktor adressierten Brief, in welchem ein offensichtlich von allen guten Geistern verlassener und von manchem bösen Geist besessener Zeitgenosse mit den Morden an zwei jungen Pärchen prahlt. Beigelegt ist dem Schreiben, das auch an zwei andere Zeitungen geht, ein Teil einer Chiffre, die zusammengefügt und dekodiert die Identität des Absenders verraten soll. Unter Androhung weiterer Morde zwingt der Killer die Zeitungen, den Brief auf der Frontseite zu publizieren. Doch obwohl die Redaktionen tun, wie ihnen geheissen, und obwohl die Chiffre relativ rasch entschlüsselt wird, nehmen die Gräueltaten des bis heute unidentifizierten und nur unter dem Namen Zodiac bekannten Wahnsinnigen kein Ende. 13 Menschen sollen ihm, der wie einst Jack the Ripper mit den Medien spielte, nach eigenen Aussagen schliesslich zum Opfer gefallen sein – eine Zahl, die er später noch massiv nach oben korrigierte, die die Polizei indes nie bestätigen konnte. Mindestens sieben Taten hat der wohl bekannteste Serienmörder der USA aber sicher begangen – und das Leben von wenigstens vier jahrzehntelang mit seinem Fall beschäftigten Menschen entscheidend beeinflusst und beeinträchtigt: jenes der Polizisten Dave Toschi und William Armstrong, jenes des Starreporters Paul Avery und vor allem jenes des einstigen Zeitungskarikaturisten Robert Graysmith.

Dokumentarischer Eifer

Graysmith ist es, der mit dem 400 Millionen Mal verkauften Bestseller «Zodiac» die Vorlage zu David Finchers gleichnamigem neuem Thriller geliefert hat. Der leicht linkische Eigenbrötler ist, dargestellt von Jake Gyllenhaal, zugleich auch der Protagonist des 158-minütigen Streifens, der eine Zeitspanne von 22 Jahren abdeckt und sich höchst detailverliebt gibt. Was hier mit gleichsam dokumentarischem Eifer an Fakten geliefert wird, ist denn auch schon gar keine Zahlenerotik mehr – es ist Zahlenpornografie. Dass das Ganze darob nicht in lästige Penibilität ausartet und zur unterhaltungsarmen Angelegenheit gerät, ist beinahe ein Wunder und verdeutlicht nur die unerhörte Klasse Finchers, die bereits ab der buchstäblich ersten Einstellung offenbar wird. Nach «Seven», «The Game», «Fight Club» und «Panic Room» ist «Zodiac» nun schon dessen fünfter Weltklassethriller am Stück. Doch so zwingend es auch scheinen mag, dass der spätestens jetzt unumstrittene Genrekönig hier den Regiejob gefasst hat, so erstaunlicher ist letztlich das Resultat. Ruhig im Schnitt und geschmeidig in der Kameraführung, dominieren hier nämlich anders als in den drei erstgenannten Werken und noch weit stärker als in «Panic Room» die leisen Töne und nicht mehr durchgehend düstere, sondern mitunter gar sonnig-freundliche Bilder. Zwar scheut sich Fincher nicht, die Linse auf Zodiacs scheinbar unmotiviertes Blutvergiessen zu richten, doch erspart er einem effekthascherische Details. Sauber und poliert ist sein grossenteils in Innenräumen spielender Film aber mitnichten; nur eben wird der Schrecken diesmal auf subtilere Weise erzeugt. In dieses Bild der selbst auferlegten Zurückhaltung passt auch, dass Fincher für einmal auf die ganz grossen Stars verzichtete und stattdessen bei der Besetzung der bei ihren Ermittlungen immer wieder ins Nichts laufenden kafkaesken Figuren auf Charakterköpfe wie Mark Ruffalo (in der Rolle des coolen Cops Toschi) oder Robert Downey Jr. (als versoffener Reporter Avary) setzte.

Triumph des Teams

Nur vor Fincher den Hut zu ziehen, wäre freilich verkehrt. Wie meist, wenn wirklich grossartige Filme entstehen, ist auch das makellose Gelingen von «Zodiac» ein Triumph des Teams. Ein dickes Lob gebührt so etwa auch dem jungen Schreiberling James Vanderbilt, der Graysmiths Vorlage in ein Skript mit nachgerade lehrbuchmässigem Aufbau verzaubert hat, sowie den Damen und Herren von der Maske und der Ausstattung. Gut zu wissen also, dass Teile dieses Teams Fincher auch bei seiner nächsten Arbeit assistieren werden. Diese ist übrigens kein Thriller, sondern eine Fantasy-Tragikomödie nach einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald.