von Sandro Danilo Spadini
Diesen Kerl könnte man sich auch nicht besser erfinden: Der texanische Kongressabgeordnete Charlie Wilson war zu seiner besten Zeit ein Lebemann von hollywoodscher Dimension, genoss das
Partyleben mit Girls, Drinks und Koks und brachte es nebenbei im Capitol zu einiger Beliebtheit, weil er sich bei Abstimmungen mehr von Opportunitäten und Sympathien denn von trockenen
Sachinhalten leiten liess. Auf «Good Time Charlie» konnte man zählen, und umgekehrt konnte der liberale Luftikus aus Lufkin auch mal einen Gefallen einfordern. Nur so scheint es erklärbar, dass
ausgerechnet dieser Charlie Wilson, der bis zu seiner Demission 1996 notabene elfmal wiedergewählt worden war, in die Geschichtsbücher eingehen sollte als der Mann, der mit antikommunistischem
Enthusiasmus die grösste versteckte Operation in der CIA-Geschichte quasi initiiert hat: die Aufrüstung der Mujaheddin im Sowjetkrieg in Afghanistan.
Wortwitz aus allen Rohren
In absehbarer Zeit wird sich der Name Charlie Wilson freilich nicht bloss in Geschichts-, sondern auch in den aufzudatierenden Filmbüchern finden. Denn was das Truppe um Regie-Altstar Mike
Nichols («The Graduate», zuletzt «Closer»), den politisch bewanderten Drehbuchautor Aaron Sorkin (Schöpfer der TV-Serie «The West Wing») und die Oscar-Preisträger Tom Hanks, Julia Roberts und
Philip Seymour Hoffman auf die Leinwand gebracht hat, ist zweifellos ein kleines Kunststück des Politkinos. Wie schon im unterschätzten Meisterwerk «Primary Colors» von 1998, das mit Witz und
Ernst gleichermassen den Wahlkampf Bill Clintons schilderte, nimmt Nichols die Sache auch hier nur scheinbar auf die leichte Schulter. Zwischen Glanz, Girls und Glamour, den Washingtoner
Machtzentren und den Kriegswirren in dem von Marokko gedoubelten Afghanistan pendelnd, jongliert er beschwingt und ohne Gedanken an die «Political Correctness» mit historischen Fakten und
politischen Implikationen, während seine vor Spielfreude fast explodierenden Stars aus allen Rohren die von Aaron Sorkin in rauer Menge zur Verfügung gestellte Wortwitz-Munition verschiessen. Den
stärksten (und einzigen Oscar-nominierten) Auftritt hat dabei der unglaubliche Philip Seymour Hoffman als frustrierter, ungehobelter CIA-Agent, der den von Tom Hanks mit einer Nonchalance
sondergleichen verkörperten Titelhelden bei Single-Malt-Whiskey in die Geheimdienstwelt einführt. Und sehenswert ist natürlich auch das (Mini-) Comeback von Julia Roberts nach dreijähriger Pause;
sie spielt lustvoll-selbstironisch die Leinwandikone raushängend die sechstreichste und zirka fünftreaktionärste Frau von Texas, die nichts so sehr hasst wie die gottlosen Sowjets.
Mehrere Traumteams
«Charlie Wilson’s War» ist ein gutes Beispiel
dafür, was herauskommen kann, wenn man die richtigen Leute zusammenbringt. So wie sich Hanks und Hoffman als komödiantisches Traumteam mit perfektem Spielverständnis erweisen, so ergänzen sich
Regisseur Nichols und Drehbuchautor Sorkin in idealer Weise. Derweil der Routinier hinter der Linse mit der Selbstverständlichkeit eines über jeglichen Profilierungsdruck erhabenen Starfilmers
und mit einem Schuss Nostalgie die Kunst des form- wie plotbewussten Filmemachens zelebriert und Erinnerungen an spektakulärere Kinozeiten aufleben lässt, bringt der Flimmerkasten-geschulte
Leinwand-Newcomer an der Feder neben einer gewissen Frische eine weitere für diesen Film überaus nützliche Qualität ein: die in «The West Wing» verfeinerte Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge
in so geistreicher wie leichtfüssiger Manier anschaulich zu machen. Um den Spass nicht zu verderben, belassen es Nichols und Sorkin am Ende ihres leider nur 97-minütigen Films denn auch bei der
Andeutung, dass es letztlich wohl doch keine so gute Idee war, die afghanischen «Freiheitskämpfer» und mit ihnen die späteren Taliban dermassen aufzurüsten. Als Rückblick auf das eben Gezeigte
und als Ausblick in die in der Gegenwart als dunkle Vergangenheit erscheinende Zukunft dient eine karge Texttafel mit einem gleichwohl viel sagenden Zitat Charlie Wilsons: «Diese Dinge sind
geschehen. Sie waren glorios und haben die Welt verändert. Und dann haben wir das Endspiel versaut.»