Ein kurzes Leben in Moll

In naturalistischen Schwarzweiss-Bildern schildert  Starfotograf und Neoregisseur Anton Corbijn im Musikfilm «Control» die Leiden des 1980 jung verstorbenen Joy-Division-Frontmanns Ian Curtis.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein guter Indikator dafür, dass es die Filmbranche mit Produktionen aus einem bestimmten Subgenre allmählich übertreibt, ist seit je die Persiflage. Insofern hätten die Studioplaner eigentlich hellhörig werden müssen, als die Kunde von der Fertigung des Rocker-Schwanks «Walk Hard: The Dewey Cox Story» die Runde machte. Schaut man freilich auf das derzeitige Portefeuille und in die Pipelines der einschlägigen Produktionshäuser, so darf man davon ausgehen, dass der Filme wie «Ray» oder «Walk the Line» auf die Schippe nehmende Verballhornungsexzess aus der Feder von Comedy-Shootingstar Judd Apatow gar niemanden stutzig gemacht hat. Und so verwundert es auch nicht, dass nun mit der britischen Produktion «Control» gar schon ein zweites Mal in kürzester Zeit die Vita des 1980 23-jährig in den Freitod gegangenen Joy-Division-Frontmanns Ian Curtis kinematografisch studiert werden kann.

Ein ewig Verzweifelter

Der Fairness halber muss freilich noch gesagt werden, dass es in Michael Winterbottoms «24 Hour Party People» aus dem Jahre 2002 in erster Linie um den Produzenten Tony Wilson vom legendären Factory-Label und nur am Rande und im Rahmen der Schilderung der Post-Punk-Szene im Manchester der späten Siebziger um Curtis ging. Und um der Fairness weiter Genüge zu tun, soll auch eingeräumt werden, dass es sich der niederländische Band-Fotograf, Videoclip- und Neo-Filmregisseur Anton Corbijn mit «Control» nicht leicht gemacht hat. In naturalistischem Schwarzweiss gehalten, erinnert sein gegen den Strich inszeniertes Biopic optisch, aber auch im Ton an die Filme der Nouvelle Vague oder das realistische britische Kino der Sechziger. Die heilige Rock-Dreifaltigkeit «Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll», der bislang noch fast jeder Musikerbiografien-Regisseur freudig gehuldigt hat, lässt ihn derweil eher kalt. Es bleibt letztlich bei einem Hauch von Sex, einer Prise Drogen und weniger Rock ’n’ Roll oder eben Post Punk oder halt Dark Wave, als zu vermuten stünde. Letzterer Umstand schliesst auch ein, dass der Aufstieg der Band, die zwischen 1978 und ihrer Auflösung 1980 lediglich eine EP und zwei LPs herausgebracht hat, mehr im Hintergrund abläuft. Die Musik bildet bloss die Kulisse für die Schilderung des von tiefem seelischem und auch körperlichem Leid geprägten Leben von Ian Curtis (berückend dargestellt von Newcomer Sam Riley). Gezeigt wird bar jeglicher Glorifizierung oder Mystifizierung ein ewig Verzweifelter, der den Kontrollverlust sucht und zugleich fürchtet, der sehr jung heiratet und Vater wird, dem zusätzlich zum schweren Gemüt eine nie richtig therapierte Epilepsie zu schaffen macht, der zum Betrüger an seiner Frau (herausragend: Samantha Morton) wird und sich in eine Affäre mit einer belgischen Musikjournalistin (Alexandra Maria Lara) einlässt.

Wenig Wissensgewinn

Gezeigt wird letzten Endes aber eben auch ein Rockmusiker: rebellisch, genialisch, wahnsinnig, neurotisch. Und irgendwie sind diese Rockstars mit ihren verletzten Ehefrauen und ihren besorgten Bandkollegen, ihren allwissenden Managern und ihren omnipräsenten Groupies allmählich auch nicht mehr so spannend. Überdies sei die Frage erlaubt, ob die so langfädigen wie banalen Beziehungsgespräche einen wirklich interessieren müssen, nur weil einer der Sprechenden mal ein bekannter Sänger war. Viel spannender wäre es da doch gewesen, hätte Corbijn auch ein Schlaglicht auf Curtis’ irritierende Koketterie mit dem Nationalsozialismus und die dadurch angezogene dubiose Konzertklientel geworfen. Da aber selbst noch die übrigen Bandmitglieder, die sich später zur Combo New Order formierten, im Schatten bleiben, hat man am Ende den Eindruck, ausser über Privates sowie einem detailreich und visuell überragend vermittelten Gefühl für das seinerzeitige Arbeiterklassemilieu und die damalige Club-Landschaft Manchesters gar nicht mal so viel erfahren zu haben. Um die Fairness zum Schluss jetzt aber nicht wieder zu missachten, sei freilich noch erwähnt, dass man das auch ganz anders sehen kann. Für den stets sehr kritischen «Guardian» etwa ist «Control» der beste Film des vergangenen Jahres...